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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Verstorbener sein Geheimnis mit ins Grab genommen hat, dann war es eben auch keins, das er zurücklassen konnte.«
    »Wie meinst du das? Warum nicht?«
    Kumi Adachi ließ Tengos Hand los und blickte ihm direkt ins Gesicht. »Weil nur der Verstorbene in der Lage war zu verstehen, worum es dabei ging. Es war etwas, das man nicht erklären konnte. Es gehörte allein dem Verstorbenen, und er musste es mitnehmen. Wie ein wichtiges Stück Handgepäck.«
    Tengo betrachtete schweigend den Sonnenfleck zu seinen Füßen. Sein Blick fiel auf seine abgewetzten Loafer und Kumi Adachis schlichte schwarze Pumps auf dem mattschimmernden Linoleumboden. Obwohl sie sich direkt vor ihm befanden, erschienen sie ihm kilometerweit entfernt.
    »Du hast sicher auch Dinge, die du anderen nicht gut erklären kannst. Oder?«
    »Ja, wahrscheinlich«, sagte Tengo.
    Kumi Adachi schlug die schlanken, schwarzbestrumpften Beine übereinander.
    »Du hast gesagt, du seist schon einmal tot gewesen«, sagte Tengo fragend.
    »Ja, das war ich. In einer einsamen Nacht, in der ein kalter Regen fiel.«
    »Kannst du dich daran erinnern?«
    »Ja, denn früher habe ich oft davon geträumt. Es war ein sehr realistischer Traum und immer haargenau der gleiche.«
    »Bist du so etwas wie eine Reinkarnation?«
    »Reinkarnation?«
    »Wiedergeburt. Du weißt schon, Samsara.«
    Kumi Adachi dachte nach. »Ich weiß nicht, vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
    »Wurdest du nach deinem Tod auch auf diese Art verbrannt?«
    Kumi Adachi schüttelte den Kopf. »So genau weiß ich es nicht mehr. Denn das war ja, nachdem ich gestorben war. Ich erinnere mich nur an den Moment des Sterbens . Jemand hat mich erwürgt. Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.«
    »Weißt du noch, wie er aussah?«
    »Natürlich. Ich habe ihn viele Male im Traum gesehen. Falls ich ihm auf der Straße begegnete, würde ich ihn auf den ersten Blick erkennen.«
    »Was würdest du tun, wenn du ihm wirklich auf der Straße begegnen würdest?«
    Kumi Adachi rieb sich die Nase, wie um sich zu vergewissern, dass sie noch an ihrem Platz war. »Darüber habe ich schon so oft nachgedacht. Was würde ich tun? Vielleicht wegrennen. Oder ihm heimlich nachgehen. So was weiß man erst, wenn der Fall eintritt, oder?«
    »Du folgst ihm also, und was dann?«
    »Ich weiß es nicht. Aber möglicherweise kennt dieser Mann ein großes Geheimnis, das mich betrifft. Mit etwas Glück könnte ich es vielleicht aufdecken.«
    »Was denn für ein Geheimnis?«
    »Zum Beispiel, welchen Sinn es hat, dass ich hier bin .«
    »Aber der Mann könnte dich noch einmal töten.«
    »Stimmt«, sagte Kumi Adachi und spitzte leicht die Lippen. »Das ist die Gefahr dabei, ich weiß. Das Beste wäre wahrscheinlich, sofort wegzurennen und sich zu verstecken. Dennoch zieht dieses Geheimnis mich unwiderstehlich an. So wie eine Katze unbedingt in eine dunkle Öffnung hineinspähen muss.«
    Als die Verbrennung abgeschlossen war, sammelten Tengo und Kumi Adachi gemeinsam die Knochen seines Vater ein und legten sie in eine kleine Urne, die anschließend Tengo übergeben wurde. Er wusste nicht, was er damit anfangen sollte, aber er konnte sie ja schlecht irgendwo abstellen und gehen. Also klemmte er sie sich in Ermangelung anderer Möglichkeiten unter den Arm und fuhr mit Kumi Adachi im Taxi zum Bahnhof.
    »Die restlichen Formalitäten kannst du ruhig mir überlassen. Das ist nicht mehr viel«, sagte Kumi Adachi im Taxi und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: »Wenn du willst, kümmere ich mich auch um die Urne.«
    »Ginge das denn?«, fragte Tengo erstaunt.
    »Schon«, sagte Kumi Adachi. »Ab und zu wird bei uns jemand kremiert, ohne dass ein einziges Familienmitglied kommt.«
    »Das wäre mir eine große Hilfe«, sagte Tengo. Ehrlich erleichtert, wenn auch mit leicht schlechtem Gewissen, übergab er Kumi Adachi die Urne. Auf dass ich diese Knochen niemals wiedersehe, dachte er dabei. Was bleiben würde, war die Erinnerung. Und selbst diese würde irgendwann zu Staub zerfallen.
    »Als Einheimische ist das für mich kein Problem. Und du fährst am besten so bald wie möglich nach Tokio zurück. Wir mögen dich natürlich alle sehr gern, aber das hier ist kein Ort, an dem du ewig bleiben solltest.«
    Ich verlasse die Stadt der Katzen, dachte Tengo.
    »Vielen Dank für alles«, sagte er noch einmal.
    »Ach, Tengo? Darf ich dir noch einen Rat geben? Auch wenn es mir nicht zukommt, dir Ratschläge zu erteilen.«
    »Doch, natürlich.«
    »Dein Vater

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