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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Hände bekommen hatte. Wie üblich konnte Ushikawa nicht umhin, Bewunderung für den Mann zu empfinden. Zugleich ergriff ihn angesichts des dicken Stapels an Papieren ein Gefühl tiefer Ohnmacht. Und wenn es am Ende nirgendwohin führte, ganz gleich, wie genau er alles durchforstete? Seine Ohnmacht war so tief, dass er niemals auf ihren Grund sehen würde, und wenn er die Augen noch so sehr anstrengte. Alles, was er wahrnehmen konnte, war das dämmrige Zwielicht einer tödlichen Vorahnung. Vielleicht lag es an dem Etwas , einer gewissen Präsenz, die die junge Frau zurückgelassen hatte. Oder lag es vielmehr an dem, was sie mitgenommen hatte?
    Allmählich erlangte Ushikawa seine geistige Kraft zurück, und er sichtete bis zum Abend geduldig das Material. Die Informationen, die er für verwertbar hielt, übertrug er nach und nach in sein Notizheft. Mit Hilfe der Konzentration, die ihm diese Tätigkeit abverlangte, gelang es ihm schließlich, das mysteriöse Gefühl von Ohnmacht zu vertreiben. Als es dunkel im Zimmer wurde und er die Schreibtischlampe einschaltete, wusste er, dass der hohe Preis sich gelohnt hatte.
     
    Zuerst las er das »Material« aus dem Sportstudio. Aomame hatte vier Jahre zuvor dort angefangen und war hauptsächlich für Krafttraining und Kampfsport zuständig gewesen. Sie hatte mehrere Kurse ins Leben gerufen und geleitet. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass sie bei den Teilnehmern ziemlich beliebt war. Sie gab Gruppenkurse, aber auch Einzelunterricht. Letzterer war natürlich teuer, aber sehr praktisch für Menschen, die nicht an den zu bestimmten Zeiten stattfindenden Kursen teilnehmen konnten oder eine persönlichere Betreuung wünschten. Aomame hatte ziemlich viele solcher »privaten Klienten«.
    Wann, wo und wie Aomame sich mit ihnen traf, konnte er den Kopien einiger Unterrichtspläne entnehmen. Mit einigen hatte sie im Sportstudio trainiert, aber es kam durchaus auch vor, dass sie jemanden zu Hause aufsuchte. Namhafte Künstler und Politiker gehörten zu ihrer Klientel. Shizue Okata, die Besitzerin der Weidenvilla, war die älteste von allen.
    Der Kontakt zu Shizue Okata hatte bald nach Aomames Anstellung im Sportstudio begonnen und bis zu ihrem Verschwinden angedauert. Etwa zur gleichen Zeit hatte jemand der Beratungsstelle für Opfer häuslicher Gewalt das einstöckige Haus gestiftet, das auf dem Grundstück der Weidenvilla lag. Vielleicht Zufall, vielleicht aber auch nicht. Den Aufzeichnungen des Sportstudios zufolge schien die Beziehung zwischen den beiden Frauen sich nach und nach vertieft zu haben.
    Vermutlich hatten Aomame und die alte Dame sich angefreundet. Das sagte ihm sein Instinkt. Ab einem gewissen Punkt hatte sich der Charakter der ursprünglich rein geschäftlichen Beziehung zwischen Trainerin und Klientin gewandelt. Ushikawa versuchte, diesen Punkt anhand der Daten in den Terminplänen zu bestimmen. Etwas war geschehen, das die altersmäßige und gesellschaftliche Kluft zwischen den beiden überbrückte. Vielleicht gab es eine Art Geheimabkommen, ein inneres Einverständnis zwischen ihnen. Und dieses Einverständnis hatte schließlich zur Ermordung des Leaders im Hotel Okura geführt. Für so etwas hatte Ushikawa einen besonderen Riecher.
    Aber wie? Und was für ein Geheimabkommen?
    Hier geriet Ushikawa ins Stocken.
    Vielleicht war die »häusliche Gewalt« der verbindende Faktor. Offenkundig war dieses Thema von großer persönlicher Bedeutung für die alte Dame. Den Unterlagen aus dem Sportstudio zufolge hatten sich Shizue Okata und Aomame bei einem Selbstverteidigungskurs kennengelernt, den Letztere organisiert hatte. Dass eine über siebzig Jahre alte Frau an einem Selbstverteidigungskurs teilnahm, war nicht üblich. Irgendetwas, das mit Gewalt zu tun hatte, musste die beiden Frauen dort zusammengeführt haben.
    Vielleicht war Aomame auch selbst ein Opfer häuslicher Gewalt. Und der Leader hatte häusliche Gewalt ausgeübt. Die Frauen hatten davon erfahren und wollten ihn bestrafen. Aber das waren alles nur Vermutungen, die überhaupt nicht zu dem idealisierten Bild des Leaders passten, das Ushikawa kannte. Natürlich konnte man niemandem ins Herz blicken, und der Leader war ein Mensch von besonderer Tiefe. Immerhin stand er einer Religionsgemeinschaft vor. Er war weise und klug, hatte aber auch rätselhafte Seiten. Einmal angenommen, er war wirklich gewalttätig geworden. Was war von so schwerwiegender Bedeutung daran, dass man einen derart ausgeklügelten

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