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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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fünften Klasse war sie ausgetreten und zu Verwandten nach Ashidachi gezogen. Wahrscheinlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten. Zu ihrem Glück war sie sehr sportlich und während der ganzen Schulzeit eine so hervorragende Softball-Spielerin, dass sie ein Stipendium erhielt und Sport studieren konnte. Das waren die Fakten, die Ushikawa ermittelt hatte. Allerdings hatte er nicht die geringste Ahnung von ihrer Persönlichkeit. Er wusste nicht, wie sie dachte, was ihre Stärken und Schwächen waren, oder welches Leben sie bisher geführt hatte.
    Als er jedoch in Gedanken Tengos und Aomames Lebensläufe verglich, fiel ihm auf, dass es da einige Gemeinsamkeiten gab. Vermutlich hatten beide keine besonders glückliche Kindheit verlebt. Aomame hatte mit ihrer Mutter von Haus zu Haus gehen müssen, um Anhänger zu werben. Alle Kinder von Zeugen mussten das. Tengos Vater war Gebührenkassierer bei NHK gewesen. Auch sein Beruf war es, von Tür zu Tür zu gehen. Hatte er genau wie Aomames Mutter sein Kind mitgenommen? Wahrscheinlich. Ushikawa an seiner Stelle hätte es getan. Bestimmt zahlten die Leute bereitwilliger, wenn man ein Kind dabeihatte. Außerdem sparte man den Babysitter. So konnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber für Tengo waren das mit Sicherheit keine schönen Erlebnisse gewesen. Vielleicht waren die beiden Kinder sich sogar hin und wieder in den Straßen von Ichikawa begegnet.
    Als Tengo und Aomame älter wurden, bewarben sich beide um Sportstipendien, um so schnell wie möglich von zu Hause fortzukommen. Beide vollbrachten große Leistungen in ihrer Sportart. Zum Teil lag das sicher an einer natürlichen Begabung, aber in ihrer Lage war es zugleich notwendig , herauszuragen. Gute Noten und sportliche Anerkennung waren ihr einziger Weg zur Unabhängigkeit. Ihre kostbare Eintrittskarte zur Selbsterhaltung. Sie dachten anders als durchschnittliche Teenager und traten der Welt auch anders gegenüber.
    Eigentlich war Ushikawa selbst in einer nicht ganz unähnlichen Lage gewesen. Doch da er einer wohlhabenden Familie entstammte, war er im Unterschied zu den beiden nicht auf ein Stipendium angewiesen gewesen und hatte immer genügend Geld in der Tasche gehabt. Um an eine erstklassige Universität zu kommen und das Staatsexamen zu bestehen, hatte jedoch auch er wie ein Wahnsinniger gelernt. Er hatte seine Zeit nicht wie andere in seiner Klasse mit Vergnügungen vertrödelt. Er hatte allen irdischen Freuden entsagt – auch wenn sich ihm von vornherein nicht viele boten, war ihm das nicht sehr leicht gefallen – und sich ganz seinen Studien gewidmet. Psychisch hatte er immer heftig zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn geschwankt. Ich bin ein Raskolnikow, dem keine Sonja begegnet ist, dachte er.
    Aber das spielte jetzt keine Rolle. Zu viel über sich selbst nachzudenken brachte nichts ein. Tengo und Aomame waren das Thema, dem er sich zu widmen hatte.
    Wären die beiden sich nach über zwanzig Jahren zufällig irgendwo begegnet, hätten sie bestimmt mit Erstaunen festgestellt, wie viele Gemeinsamkeiten sie hatten. Gewiss hätten sie sich viel zu erzählen gehabt. Und sich wahrscheinlich heftig zueinander hingezogen gefühlt. Ushikawa konnte sich die Szene lebhaft vorstellen. Eine schicksalhafte Begegnung. Die ultimative Liebesgeschichte.
    Aber hatte eine solche Begegnung wirklich stattgefunden? Und war eine Liebesgeschichte daraus entstanden? Natürlich konnte Ushikawa das nicht wissen. Aber einen Sinn würde es schon ergeben. Deshalb hatten sie sich zusammengetan und die Vorreiter attackiert. Tengo mit der Feder und Aomame wahrscheinlich mit einer besonderen Technik, jeder auf seine Weise. Dennoch konnte Ushikawa sich mit dieser Hypothese nicht recht anfreunden. Sie war einigermaßen logisch, aber sonst war sie wenig überzeugend.
    Wenn zwischen Aomame und Tengo eine so starke Verbindung bestand, konnte sie ihm doch nicht verborgen bleiben. Eine schicksalhafte Begegnung war etwas, das schicksalhafte Ereignisse hervorbrachte, und etwas Derartiges wäre Ushikawas Aufmerksamkeit nicht entgangen. Aomame hätte so etwas vielleicht verbergen können. Aber niemals Tengo.
    Ushikawa war ein Mann, der logisch dachte. Ohne Beweise kam man nicht vorwärts. Doch zugleich vertraute er ganz auf den ihm angeborenen Instinkt. Und zu der Theorie, dass Tengo und Aomame sich gegen die Vorreiter verschworen hatten, schüttelte dieser Instinkt den Kopf. Leicht, aber hartnäckig. Vielleicht wussten die

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