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1WTC

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Titel: 1WTC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich von Borries
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entwickelt nämlich auch Spiele für Marketingevents, mit denen auf unterhaltsame und medienwirksame Weise neue Technologien präsentiert und getestet werden können. Mit irgendetwas müsse sich die Forschungseinrichtung ja finanzieren, lautet die offizielle Begründung für diese Art von Kooperation. In Wirklichkeit kommt ein Großteil des Geldes für die experimentellen und sozialen Spielprojekte aus einer anderen Quelle.
    Syana arbeitete in dem geheimen Bereich des Centers, um wie das ICT im Auftrag des Militärs an der Zukunft des Spiels zu forschen. Von ihrer Arbeit kann sie jemandem wie Mikael nichts verraten. Außerhalb des engsten Kollegenkreises hat sie darüber noch nie geredet. Ihm erzählt sie jetzt lieber eine harmlose Variante.
    »Meine Spiele sind ein bisschen anders als normale Computerspiele, sie sind eher eine verspielte Form der Wirklichkeit. Es geht darum, Ideen aus der Spielwelt in den Alltag zu schmuggeln. Zum Beispiel Technik anders verwenden, als es eigentlich geplant war. Kreativer Missbrauch, nennt man das.«
    Mikael schaut sie fragend an. Hat er das jetzt wirklich nicht kapiert? Oder macht er bloß auf naiv?
    Willing suspension of disbelief , deutsch etwa freiwilliges Aussetzen der Ungläubigkeit. Der Begriff taucht erstmals 1817 bei Samuel Taylor Coleridge auf, einem englischen Romantiker. Heute gebräuchlich als Terminus technicus in der Computerspielbranche. Meint das totale Eintauchen in künstliche Welten, ein restloses Aufgehen in den dort zugewiesenen Rollen. Dazu schreibt der Spieletheoretiker Ernest Adams in seinem Buch Fundamentals of Game Design aus dem Jahr 2006: »The pretended reality in which you are immersed seems as real as, or at least meaningful as, the real world.«
    Auch außerhalb von Spielwelten stößt man auf die Prinzipien der suspension of disbelief : Romane und Spielfilme bauen seit jeher auf die Bereitschaft der Leser und Zuschauer, sich in eine fiktive Handlung hineinzuversetzen. Dieses Verhaltensmuster dringt aber auch in den Alltag der vermeintlichen Realwelt. Das im Museum ausgestellte »Gold der Pharaonen« ist ein Remake, die »lokale Spezialität« im Ausflugsrestaurant stammt aus der Tiefkühltruhe. Und die architektonische Variante der suspension of disbelief , der Themenpark, hält mehr und mehr Einzug in die Stadtplanung. Inzwischen werden nicht nur Schlösser, sondern ganze Altstädte künstlich (aber nicht zwingend kunstvoll) rekonstruiert. Diese Inszenierungen stillen unsere Sehnsucht nach einer Alternative zu dem, was als »das echte Leben« bekannt ist, aber doch nur eine Aneinanderreihung wiederholbarer, austauschbarer, kontrollierter Erlebnisse darstellt. Die Welt ist ein Fake, und die Möglichkeit, in fiktionale Parallelwelten einzutauchen und dafür zeitlich begrenzt die kritische Vernunft auszuschalten, scheint das Überlebensprinzip der Gegenwart zu sein.
    Den Sonntag verbringen Syana und Mikael getrennt. Mikael streift durch New York, schaut sich das MoMA an, East Village, Little Italy, Chinatown. Für den Abend haben sie sich in einem American Diner am Broadway verabredet. Es gibt Burger, Pommes und Bier. Nach dem Essen zieht Syana einen Briefumschlag aus ihrer Tasche und schiebt ihn Mikael über den Tisch zu.
    »Surprise, Surprise!«
    »Was ist denn das?«
    »Ein kleines Geschenk. Damit du mich nicht vergisst. Ich fahre für eine Woche nach Vancouver.«
    »Die Schlüssel zu deiner Wohnung hab ich doch schon«, lacht Mikeal. »Es hat also etwas mit dem Projekt zu tun.« Er tastet den Umschlag ab. »Der Chip?«
    Syana grinst. Neben dem Chip liegt im Umschlag ein kleiner Zettel mit den Anweisungen für die Netzwerkeinstellungen und dem Passwort für die Verschlüsselung.
    »Und der funktioniert wirklich? Wie hast du das denn so schnell geschafft?«
    »Na ja, richtig Arbeit war das nicht. Eher ein kleiner Spaß. Hoffentlich funktioniert's. Ich will ja, dass du Zeit hast, wenn ich wieder zurück bin. Also musst du jetzt mit deinem Projekt vorankommen …«
    Nach dem Essen gehen die beiden zu Syana.
    »Warum habt ihr hier eigentlich eine Kamera?«, fragt Mikael, als er mit ihr im Aufzug zu ihrem Studio steht.
    »Die hab ich mal eingebaut. Man weiß ja nie, wer hier so ein- und ausgeht. Letztes Jahr gab es ein paar Einbrüche.«
    »Und der Sicherheitsdienst kann sich dann unsere letzte Fahrstuhlfahrt auf Video ansehen, oder was?«
    »Mikael, hier gibt’s keinen Sicherheitsdienst. Ich bin die Security.«
    Syana schmiegt sich an Mikael und

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