1WTC
drückt ihn in die Ecke des Fahrstuhls. »So, jetzt bist du besser im Bild. Denkst du, ich würde dir meine Schlüssel geben, wenn ich nicht genau wüsste, was hier passiert? Ich schau mir unsere Videos außerdem ganz gerne an.«
Sie greift in seine Hose. »Fühlt sich nicht so an, als ob dich die Kamera stören würde.« Sie lächelt. »Aber du kannst natürlich jederzeit gehen, wenn es dir nicht gefällt. «
Die nächste Woche verbringt Mikael in seinem Atelier. Allein fühlt er sich in Syanas Wohnung nicht wirklich wohl. Das Studio befindet sich in einem elfgeschossigen Lagerhaus. Gegenüber ein Geschäft für gebrauchte skandinavische Möbel und ein Umspannwerk, dann der East River. Zwei Blocks von dem Gebäude entfernt rauscht der Verkehr auf der Manhattan Bridge, nach der das Viertel benannt ist: Direct Under the Manhattan Bridge Overpass, kurz: Dumbo.
Ein Teil des Gebäudes wird noch ausgebaut, aber die meisten Stockwerke sind bereits voller kleiner Studios und Ateliers. Der Raum für den Berliner Stipendiaten befindet sich in der dritten Etage. Silbern blitzende Stahltüren trennen den weißen Flur von den Ateliers. Bei einigen Künstlern kleben Zettel an der Tür: Namensschilder, Hinweise für den Paketdienst, Flyer für Ausstellungen und Performances.
Das Atelier ist knapp vierzig Quadratmeter groß. Genau richtig für einen Bildhauer oder Maler, aber viel zu groß für Mikael. Irgendwie ungemütlich, und die karge Einrichtung tut ein Übriges. Wenigstens gibt es ein Sofa, auf dem Mikael im Notfall schlafen kann; außerdem fließend Wasser. Die Toiletten sind draußen auf dem Flur.
Kamerafahrt. Ein großer, leerer Raum. Dunkler Holzboden. Ein Sofa. Als Tisch ein verrostetes Stahlgestell mit einem alten Türblatt. Auf dem Tisch ein Laptop, darunter ein Drucker.
Weiße Wände. Auf dem Sofa liegt Mikael. Jeans. Weißes T-Shirt. Barfuß, unrasiert. Er schläft. Seine Füße auf der Armlehne. Neben dem Sofa stehen zwei geöffnete Bierdosen. Eine zerdrückte Bierdose schaut unter dem Sofa hervor.
Diffuses Licht. Morgengrauen.
Auf dem Boden verstreut Zeitungen und Computerausdrucke. An der Wand hängen Zeitungsausschnitte. Ein Stadtplan von New York. Mehrere Blatt Papier, blanko und kariert, mit handschriftlichen Notizen.
Zoom auf ein Detail an der Wand. Zu sehen ist der Stadtplan, einzelne Orte sind mit schwarzen Punkten markiert und durchnummeriert.
Schwenk über die Wand, es ist keine Ordnung zu erkennen. Bilder von Gebäuden. Aktienkurse. Zeitungsartikel mit Unterstreichungen.
Detailaufnahme. Mikaels Gesicht. Ruhiger Atem. Als Geräuschkulisse eine vorbeifahrende U-Bahn. Der Kopf bewegt sich leicht zur Seite.
Detailaufnahme. Wieder ist der Stadtplan zu sehen. Schwenk auf einen der Zettel. Kariertes Papier. Mit Bleistift untereinander geschrieben:
Ground Zero. Terrorzentrum (unterstrichen).
Wall Street. Global Financial Headquarter.
United Nations. Zentrum der Weltpolitik (unterstrichen).
New York Yankees Stadium. Sport.
Museum of Modern Art. Geschmackszentrum.
Police Square. Sicherheit. National Counterterrorism Center (doppelt unterstrichen).
Times Square. Entertainment. Disney Corporation. Geld. Nasdaq. Information. Condé Nast. American Hegemony (unterstrichen).
Metropolitan Opera. Money. Culture. Europa (durchgestrichen).
Goldman Sachs Headquarters. 200 West Street.
JFK. Drehscheibe. Immigration (Doppelt unterstrichen)
Freiheitsstatue. Geschichte. Immigration.
Halbtotale.
Das Sofa von hinten. Mikaels Füße bewegen sich. Er steht auf und streckt sich. Bückt sich über die Zeitungsausschnitte am Boden. Knüllt die Papiere zusammen und wirft sie in den Papierkorb.
Blende.
Gegen Ende der Woche will Mikael das erste Foto-Shooting machen. Zumindest einen Test. An der Wall Street, denn dort gibt es besonders viele Kameras. Und es sollen noch mehr werden. Der Bürgermeister plant, die Videoüberwachung zu intensivieren. Dreitausend weitere Kameras will allein die Lower Manhattan Security Initiative, ein Zusammenschluss von Geschäftsleuten und Unternehmen, im südlichen Manhattan installieren.
2010 besucht Michael Bloomberg, der Bürgermeister von New York, die britische Hauptstadt, um sich dort über aktuelle Sicherheitstechniken im urbanen Raum zu informieren. London ist weltweiter Vorreiter in Sachen Videoüberwachung, bereits Anfang der Neunziger wurde hier der »Ring aus Stahl« eingerichtet, ein Schutzwall aus Straßensperren und Kameras, eine Reaktion auf die Anschläge der
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