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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich von Borries
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Bleistiftstrichen eine Szene aus Abu Ghuraib. Lynndie England, eine Hundeleine, ein gefesselter Iraker. Gefangene mit Papptüten über dem Kopf. Die Umstehenden reden über das Foto, Tom erinnert sich an das Gefängnis. Er kennt es nur zu gut. Wegen genau solcher Folterskandale hat Sunner ihn kontaktiert.
    Stolz verkündet der Auktionator das höchste Gebot für die Zeichnung. 3250 Dollar. Die Besucher klatschen. Der Künstler gratuliert etwas linkisch dem neuen Besitzer. Tom wendet sich ab. Diese ganzen Leute wissen doch eh nicht, was da wirklich passiert ist.
    Er schaut wieder zu Jennifer. Sie ist immer noch ins Gespräch vertieft. Wahrscheinlich reden die beiden jetzt über die Folterszenen. Unzählige Male hat er sich mit ihr über politische Kunst gestritten. Jennifer hält sie für wichtig, Tom für wirkungslos und oft genug für überteuert. Wenn die Zeichnung billiger gewesen wäre, hätte er sie gekauft und zerrissen. Am liebsten vor Jennifers Augen. Er geht zurück Richtung Tür.
    Jennifer starrt zum Eingang.
    »Was ist?«, fragt Mikael.
    »Da ist Tom. Mein Freund … Mein Exfreund. Ich hab mich erst vor kurzem von ihm getrennt. Muss jetzt wohl mal Hallo sagen. Aber wenn du bei deinen Recherchen zu 9/11 Hilfe brauchst, können wir uns gerne treffen. Hast du was zum Schreiben?«
    Mikael holt sein Skizzenheft heraus, Jennifer schreibt ihre Nummer auf. Er reißt eine Seite aus dem Heft und gibt ihr seine. Sie lächelt kurz und steckt den Zettel in die Jackentasche. Dann dreht sie sich um und verschwindet in der Menge.
    Mikael blickt Jennifer nach. Ihren Exfreund will er nicht kennenlernen. Er dreht noch eine Runde durch die Ausstellung, um den beiden nicht an der Tür zu begegnen, dann verlässt er die Galerie. Er will zu Fuß nach Hause gehen, ungestört nachdenken, Unruhe in Bewegung umsetzen. An einer Ampel bleibt er stehen, zieht den Zettel mit Jennifers Telefonnummer aus der Jacke. Lächelnd betrachtet er die schmalen Ziffern, die sie aufs Papier gemalt hat.
    Jennifer bahnt sich ihren Weg zum Ausgang. Tom sieht sie auf sich zukommen. Dass es ihm hier nicht gefällt, ist offensichtlich. Dass sie sich nicht freut, ihn zu sehen, auch.
    Sie schauen sich an. Schweigen. Es hat keinen Sinn mehr, sagt sich Tom, und Jennifer denkt das Gleiche.
    »Schöne Ausstellung«, meint Tom.
    »Hast du sie dir überhaupt angekuckt?«
    »Ein bisschen.«
    »Dann bist du ja schon eine Weile da. Warum hast du mir nicht Hallo gesagt?«
    »Ich hab dich gar nicht gesehen.«
    »Aber die Arbeiten, die hast du dir angeschaut?«
    »Ich wollte euch nicht stören.« Tom nickt Richtung Mikael, der gerade die Galerie verlässt.
    »Ach so. Das war Mikael, ein Bekannter. Egal. Welche Arbeit gefällt dir am besten?«
    »Am besten? Puh … Und dir?«
    »Ach, da gibt’s einige.« Die beiden sprechen ins Leere, tote Kommunikation. Dann schweigen sie. Toms Blick irrt durch den Raum, Jennifer schaut auf den Boden.
    »Wolltest du deshalb, dass ich komme? Damit du noch einmal siehst, dass wir uns nichts zu sagen haben? Dass wir nicht zusammenpassen?«
    Jennifer sucht Mikael, kann ihn aber nicht mehr finden.
    »Stimmt. War eine blöde Idee, dich hierhin einzuladen.« Ohne sich zu verabschieden, lässt sie Tom stehen und läuft aus der Galerie.
    Er geht zum Ausgang und schaut, ob Jennifer noch in der Nähe ist. Ihre langen blonden Haare sind längst außer Sichtweite.
    Wassertropfen und Eiskristalle mit unterschiedlichen Temperaturen und Aggregatzuständen werden von auf- und absteigenden Winden durcheinandergewirbelt und erzeugen so in Gewitterwolken elektrische Spannungen. Ionen werden angezogen und abgestoßen, kosmische Strahlungen setzen Elektronen frei, es kommt zu Kettenreaktionen, bis sich schließlich die unterschiedlichen Potenziale durch Entladung ausgleichen.
    Ein Blitz.
    Im Blitzkanal erhitzt sich die Luft, doch das umgebende Magnetfeld verhindert die Ausdehnung der Moleküle. Mit dem Einschlag bricht das Magnetfeld zusammen. Die heiße Luft dehnt sich mit einem Mal aus. Donner ist eine Explosion der Luft.
    Jennifer läuft in Richtung Subway. Bloß schnell weg. Sie will unbedingt mit jemandem reden. Sie vergräbt die Hände in den Jackentaschen. Ein Zettel. Mikaels Nummer. Sie zögert. Warum eigentlich nicht? Sie wählt, legt aber noch vor dem Freizeichen wieder auf. Wenn Tom eine Vaterfigur war, was ist dann mit Mikael? Jennifer weiß es nicht. Sie wählt noch einmal.
    Mikael sitzt im PDT, einer Cocktailbar im East Village. Syana hat sie

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