2 ½ Punkte Hoffnung
McKillip.
Mr. Hudson klopfte leise an die Tür, dann drückte er sie auf. Das Zimmer war vollgestopft mit Bücherregalen und Bergen aus Stofftieren und Handpuppen. An den Wänden hingen gelbe, orange, lila und grüne Plakate mit Texten wie Frei, um ich zu sein und Lass mich in Frieden wachsen .
Mrs. Nelson sah von ihrem Arbeitstisch auf und stellte ihren Pinsel in ein mit lila Farbe gefülltes Glas. Ihre glänzenden schwarzen Haare fegten über ihre Schultern, als sie aufstand. Sie lächelte, ihr Mund war noch immer morgenfrisch mit pinkfarbenem Lippenstift. Ich überlegte, ob sie wohl Kinder hatte und ob die ihr erzählen konnten, wie ihnen zumute war.
»Was kann ich für euch zwei tun?«, fragte sie fröhlich.
Mr. Hudson legte mir die Hand auf die Schulter. »Na ja, Hope weiß nicht so recht, ob sie krank ist oder nicht, und da dachte ich, du könntest vielleicht mal mit ihr reden und feststellen, ob wir sie nach Hause schicken müssen.«
»Nein!« Das schrie ich fast, dann wurde ich leiser. »Ich muss nicht nach Hause.«
Mrs. Nelson sah Mr. Hudson an und ihre dünnen schwarzen Augenbrauen hoben sich wie das M in
McDonald’s
.
»Du kommst gerade im richtigen Augenblick«, sagte sie dann. »Ich könnte Hilfe bei unseren so genannten Gelöbnispostern brauchen.«
Hände und Worte dürfen nicht verletzen
zog sich über den oberen Rand eines langen weißen Papierstreifens. Mrs. Nelson war gerade mit dem
Ge
von Gelöbnis beschäftigt gewesen.
Ich werde weder mir noch anderen mit Händen oder Worten wehtun.
Dieser Satz schwebte problemlos durch mich hindurch. Nach sechs Jahren wäre alles Andere aber auch noch schöner gewesen! Sechs Tage der offenen Tür im Frühling, an denen Mrs. Nelson Eltern und Kinder aufforderte, dieses Gelöbnis abzulegen, dann ihre Hände lila zu färben, sie auf das weiße Papier zu drücken und ihren Namen daneben zu schreiben. Mom meinte, sie habe es einmal getan, da brauche sie ihre Hand ja nicht jedes Jahr aufs Neue mit Farbe zu versauen.
Am Ende des Tages der offenen Tür waren die Gänge in der Schule mit lila Händen und Namen übersät. Die winzigen Kindergartenhände waren ziemlich niedlich, die Namen waren teilweise mit auf dem Kopf stehenden Buchstaben geschrieben, y und g hatten lange wackelnde Schwänze und sahen aus wie Kaulquappen.
Mr. Hudson verließ ganz leise das Zimmer, und ich fragte mich, was ich hier eigentlich sollte.
»Fang doch einfach an dem einen Ende des Schildes an, und ich nehme das andere.« Mrs. Nelson reichte mir ein Glas mit lila Farbe und einen Pinsel. »Dann treffen wir uns in der Mitte.«
Ich nickte, tunkte meinen Pinsel in die Farbe und folgte dem mit Bleistift vorgeschriebenen l .
Mrs. Nelson strich das Papier auf der anderen Seite des Tisches glatt und begann, rückwärts zu schreiben. Sie sagte nichts, deshalb war nur zu hören, wie unsere Pinsel in die Farbe getaucht wurden und gegen das Glas tippten, um dann über das Papier zu tanzen. Stille ist schön. Die Gedanken können sich ausruhen.
»Also, Hope, wie läuft es für dich denn in der Schule?« Ich vermute, Konfliktberaterinnen können nicht ewig überleben, ohne Fragen zu stellen.
»Okay, denke ich.« Ich starrte das lila W an und versuchte, gleichmäßige Rundungen zu malen.
»Denkst du?« Sie blickte ebenfalls auf die Buchstaben. »Und freust du dich auf das Sommerlager?« Sie schob ihr Farbglas näher an die Mitte heran.
»Meine Mom sagt, ich darf nicht mitfahren.« Die Wörter sanken in mir nach unten und drehten meinen Magen um. Nicht ins Sommerlager fahren? Das Abenteuer meines Lebens verpassen? Sogar Schlangen? Ich sah Mr. Hudson vor mir, wie er uns am ersten Schultag in die Augen gestarrt und dieses Wort gezischt hatte.
»Warum nicht?«, fragte Mrs. Nelson so ruhig, als ob sie wissen wollte, warum mir gekochte Möhren nicht schmeckten.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste die Antwort –aber könnte ich sie ihr sagen? Ich mochte Mrs. Nelson ja, aber ich hatte doch schon Brody von Mom erzählt! Wollte ich wirklich, dass die ganze Welt es wusste? Ich konzentrierte mich darauf, Worte fertigzuschreiben. »Ich habe so oft Kopfschmerzen.«
»Deine Mom hat also Angst, dich fahren zu lassen, weil du Kopfschmerzen hast?«
»Meine Kopfschmerzen interessieren sie nicht.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
»Was interessiert sie denn?«
»Was alles kostet.«
»Sie ist alleinerziehend, nicht wahr?« Mrs. Nelson malte wieder; ihre Fragen waren so glatt wie ihre schönen
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