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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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niemand, und meiner Ansicht nach unternahmen sie noch nicht einmal den Versuch, mich zu finden oder zu verhören. Irgendwie müssen sie doch eingesehen haben, dass ein Dunkler Magier kein Bedürfnis hat, menschliches Blut zu trinken. Natürlich könnte ich es, wenn ich mir eine langwierige Magenverstimmung zuziehen wollte -und wenn ich nicht vorher vor Ekel kotzen müsste ... Ich tat nichts weiter, als auf den nächsten Schritt zu warten, der mich eine weitere Stufe hinaufbringen würde, doch anscheinend konnte er nur in bestimmten extremen und komplexen Situationen erfolgen, wenn irgendetwas in mir mich zwang, Magie anzuwenden. Keine kleinen Handlungen wie die, die kahl geschorenen, dickwangigen Kontrolleure im Autobus weitergehen zu lassen oder einen Beruhigungsschleier über einer nervigen Schlange vor dem Schalter für Metrotickets auszubreiten, als ich nicht mehr stehen mochte. Nein, dieses Niveau war für mich im wahrsten Sinne des Wortes Schnee von gestern. Um etwas Neues zu lernen und eine weitere Schicht in meinem verschlossenen Gedächtnis freizulegen, um die noch schlummernden Kenntnisse zurückzuerlangen, brauchte ich stärkere Erschütterungen.
    Die ließen auf sich warten, aber nicht sehr lange.
    Wie viele Dunkle stellte ich mich als eingefleischte Nachteule heraus. Da ich inmitten normaler Menschen lebte, konnte ich den Tag nicht schlichtweg ignorieren, wollte aber auch dem Lockruf der Nacht nicht widerstehen. Ich stand spät auf, erst mittags oder sogar noch später, und kehrte erst im Morgengrauen ins Hotel zurück.
    In meiner vierten Nacht in Moskau dämmerte bereits langsam der neue Tag herauf, ließ die Schwärze allmählich die ersten dunkelgrauen Nuancen erkennen, als ich dicht an die nächste Stufe herangelangte. Ich schlenderte über den verlassenen Ismailowski Boulevard und spürte plötzlich, wie in der Ferne, in einem der Höfe, ein gewaltiger Magieausstoß freigesetzt wurde.
    Wenn ich Ausstoß sage, meine ich nicht, dass unkontrolliert Energie freigesetzt worden wäre. Nein. Die Energie wurde ausgestoßen und gleich wieder absorbiert, sonst wäre es nämlich zu einer banalen Explosion gekommen. Die Anderen verwandeln sowohl sich als auch die Welt und die Energie. Aber die Bilanz von Ausstoß und Absorption muss am Ende immer gleich null sein, sonst...
    Ansonsten könnte die Welt einfach nicht existieren. Und wir nicht in ihr.
    Etwas schubste mich förmlich vorwärts: Komm her! Komm!
    Mir blieb nichts weiter übrig als zu gehen.
    Zwanzig Minuten ging ich, wobei ich voller Überzeugung an Kreuzungen abbog und manchmal über Hinterhöfe ging, um den Weg abzukürzen. Während ich noch auf mein Ziel zusteuerte, spürte ich bereits die Anderen - sie näherten sich rasch von zwei Seiten. Zugleich hörte ich den Lärm von mehreren Autos. Fast auf Anhieb machte ich in der gesichtslosen Palisadenwand der Hochhäuser das richtige Haus und die richtige Wohnung aus, in der erst kürzlich etwas geschehen war, was jenes Ich interessierte, das sich vorläufig noch in den Tiefen meines gewöhnlichen Seins verbarg.
    Einer der üblichen vierstöckigen Chruschtschow-Bauten in der 13. Parkowaja. Mülltonnen an der Stirnseite des Hauses und nicht der geringste Hinweis auf Verkaufsbuden im Hof, wie ich sie aus dem Süden kannte.
    Direkt vor dem Haus standen drei Autos: ein Shiguli, ein markenloser kleinerer Kastenwagen in ziemlich erbärmlichem Zustand und ein gepflegter BMW. Zwar standen hier überhaupt sehr viele Autos, doch sie waren alle ohne Zweifel über Nacht geparkt worden, während diese drei eben erst angekommen und aufs Geratewohl abgestellt worden waren. Widerwillig gaben die Motoren ihre Wärme an den Winter ab.
    Vierter Stock. Bereits am Hauseingang (eine Eisentür, die übrigens sperrangelweit aufstand) spürte ich solide magische Blöcke. Sie waren es, die mich dazu brachten, meinen eigenen Schatten vom Boden aufzunehmen und ins Zwielicht einzutreten.
    Meiner Meinung zieht das Zwielicht aus den Anderen Kraft. Natürlich nur, wenn man ihm nicht Paroli bieten kann. Das hatte mir niemand beigebracht, sondern ich fing an, es instinktiv zu tun, als hätte ich es schon immer gekonnt. Möglicherweise was das ja tatsächlich der Fall, und ich hatte mich jetzt, da es nötig war, nur daran erinnert.
    Die Wände und das Treppenhaus, ja, sogar das Treppengeländer bewucherte reichlich blaues Moos, dieser Bewohner der ersten Zwielicht-Schicht. In diesem Haus mussten überaus gefühlsbetonte Menschen leben,

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