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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Gesicht, stieß mich wie ein professioneller Rugbyspieler, sodass ich mich vorbeugen musste, um irgendwie weiterzukommen.
    Da klaffte auch schon der Tordurchgang in der Häuserfassade. Anscheinend kam ich zu spät. Vor dem Hintergrund eines kaum zu erkennenden Flecks - das gegenüberliegende Ende des Durchgangs - erstarrte kurz eine Silhouette; ich konnte nur ein blasses, eindeutig nicht menschliches Gesicht und zwei matte Schimmer in den Augen erkennen. Und, wenn ich mich nicht täusche, Zähne.
    Mehr nicht. Wer immer hier gewesen sein mochte, war verschwunden, während derjenige, der noch hier war, verschieden war.
    Ich betrachtete ihn, indem ich mich über den reglosen Körper beugte. Ein junges Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren. Mit einer seltsamen Mischung aus Glückseligkeit und Qual in den erstarrten Augen. Neben ihr lagen ein weicher Wollschal und eine dazu passende Mütze. Die Jacke war geöffnet, der Hals entblößt. An ihm ließen sich vier Punkte erkennen.
    Was ich da in fast vollständiger Dunkelheit sah, erstaunte mich nicht im Geringsten.
    Ich hockte mich neben das Mädchen. Zusammen mit ihrem Blut - es war wenig, das sei festgehalten, nicht mehr als ein Viertel Liter - war das Leben aus ihr herausgeströmt. Jemand hatte ihre Energie aufgesaugt. Die gesamte, bis auf den letzten Tropfen. Widerwärtig.
    Und in dem Moment stürmten - von beiden Seiten zugleich - Menschen in den Durchgang. Genauer keine Menschen, sondern Andere.
    »Stehen bleiben! Nachtwache! Treten Sie aus dem Zwielicht!«
    Ich richtete mich auf, ohne gleich zu begreifen, was sie eigentlich von mir verlangten, und bekam einen ordentlichen Schlag ab - nicht mit der Faust und nicht mit dem Bein. Sondern mit etwas, das weiß wie der Kittel eines Chirurgen strahlte. Es tat nicht weh, demütigte mich aber. Einer der Wächter hielt einen kurzen Stab mit einem roten Stein an einem Ende auf mich gerichtet und bereitete sich offenbar auf einen zweiten Schlag vor.
    In dem Moment schleuderte es mich auf die nächste Stufe hinauf. Und zwar nicht auf die folgende, sondern gleich ein, zwei Stufen darüber.
    Ich trat aus dem Zwielicht. Jetzt verstand ich, was das bedeutete, wenn alles um mich herum langsamer wurde und ich plötzlich in der Lage war, durch das finsterste Dunkel zu blicken. Das war die Welt der Anderen. Und mir hatte man befohlen - mich nicht aufgefordert, sondern mir befohlen -, in die Welt der Menschen zurückzukehren.
    Und ich kehrte zurück, gehorsam und ohne zu murren. Denn so musste es sein.
    »Namen!«, verlangte jemand von mir. Wer, sah ich nicht, denn man hielt mir eine Taschenlampe ins Gesicht. Zwar hätte ich trotzdem etwas erkennen können, doch das war bis jetzt einfach nicht nötig.
    »Witali Rohosa, Anderer.«
    »Andrej Tjunnikow, Anderer, Mitarbeiter der Nachtwache«, stellte sich derjenige, der mich mit dem Kampfstab geschlagen hatte, mit unverhohlenem Vergnügen vor.
    Jetzt spürte ich, dass er mich nicht mit aller Kraft geschlagen hatte, sondern nur prophylaktisch. Falls nötig, könnte er aber auch kräftiger auf mich eindreschen, die Ladung des Stabs hätte das erlaubt.
    »Also, Dunkler, was haben wir denn hier? Eine frische Leiche und dich gleich daneben. Kannst du das erklären? Oder hast du vielleicht eine Lizenz? Hm?«
    »Immer mit der Ruhe, Andrjucha«, wies ihn jemand aus der Dunkelheit heraus in seine Schranken.
    Doch Andrej scherte sich nicht darum, sondern winkte ärgerlich mit der Hand ab: »Ach was!« Dann wandte er sich wieder mir zu. »Also, was ist? Du schweigst, Dunkler? Hast du gar nichts zu sagen?«
    In der Tat, ich schwieg.
    Andrjucha Tjunnnikow war ein Magier; selbstverständlich ein Lichter, der erst unlängst den fünften Grad erlangt hatte.
    So einer war ich gestern gewesen.
    Das Amulett hatte ganz bestimmt nicht er geladen - hier sprang die Arbeit eines erfahrenen Magiers ins Auge. Auch die beiden, die hinter ihm standen, hielt ich für stärker.
    An der gegenüberliegenden Seite versperrte eine einzelne Frau den Durchgang, die zwar nicht sehr groß und noch jung war, aber dennoch die erfahrenste und gefährlichste in der Gruppe. Bei ihr handelte es sich um eine Kampfmagierin und Gestaltwandlerin. So etwas wie eine Lichte Tierfrau.
    »Also, Dunkler?«, ließ Andrjucha nicht locker. »Schweigst du immer noch? Gut. Zeig deine Registrierung! Und gebt jemandem von der Tagwache Bescheid, dass wir hier einen wildernden Dunklen haben...«
    »Du bist ein Dummkopf, Andrjucha«, bemerkte ich

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