20.000 Meilen unter den Meeren
Monsieur!«
»Ein Amateur. Früher bin ich den schönsten Werken von Menschenhand hinterhergejagt, ich habe begeistert und unermüdlich gesammelt und ich habe auch ein paar Wertobjekte zusammengebracht. Aber jetzt ist die Welt für mich tot. Ob alte oder moderne Meister: Dieser Unterschied existiert für mich nicht mehr. 200 Jahre oder 20 Jahre, dergleichen Begriffe vermischen sich jetzt leicht in meinem Kopf und es bleibt als Ausweis nichts als die Meisterschaft. Da drüben auf der Orgel liegen Partituren, schauen Sie sie durch: Weber, Rossini, Mozart, Beethoven, Haydn, Meyerbeer, Herold, Wagner, Auber und Gounod – sie sind für mich Zeitgenossen des antiken Orpheus, sind Tote, sind tot, so wie ich tot bin, tot wie Ihre Freunde, Professor, die zwei Meter unter der Erde liegen!«
Er schwieg abrupt nach diesen Worten und schien meine Gegenwart nicht mehr zu bemerken. Ich wollte nicht aufdringlich sein, deshalb wandte ich mich jetzt den Schätzen aus dem Reich der Natur zu, die den übrigen Raum seines Museums füllten. Mitten im Salon stand ein elektrisch beleuchteter Springbrunnen, dessen Becken aus der Schale einer der größten im Meer vorkommenden Muscheln gebildet wurde. Der Umfang des fein verzierten Randes betrug 6 m und übertraf damit die Riesenmuscheln, die einst die Republik Venedig François Ier geschenkt hatte (und die heute als Weihwasserbecken in der Kirche St. Sulpice zu Paris stehen). An den Wänden hingen in Schaukästen mit kupfernen Etiketten die Wunder der Tiefseewelt, die sich den Augen normaler Forscher noch kaum jemals offenbart hatten. Offensichtlich hatte Nemo sie von seinen Unterwasserausflügen mitgebracht.
Für mich war es ein Fest: Schwämme, Hohltiere, Gliederfüßer, Weichtiere, Stachelhäuter und Wirbeltiere waren in Exemplaren seltener Provenienz vertreten. Besonders die Mollusken stellten eine Sammlung von unbezahlbarem Wert dar. Da die Fundorte entweder an jedem Stück vermerkt oder mir aus der Tiergeografie bekannt waren, sah ich an den Kästen, dass dieses Schiff und sein Kommandant die ganze Welt befahren hatten, so weit sie aus Wasser bestand.
In besonderen Fächern lagen Perlen ausgebreitet, die herrlichsten Perlen, die ich jemals gesehen hatte, und sie schimmerten unter der elektrischen Beleuchtung in Rosenrot, Grün, Gelb, Schwarz und Blau. Manche erreichten die Größe von Taubeneiern. Ich dachte immer, die Perle des Imam von Maskat sei die größte auf der Welt, aber sie wäre hier gar nicht weiter aufgefallen, ebenso wenig wie jene, die Tavernier dem Schah von Persien für 3 000 000 verkaufte. Überwältigt wandte ich mich wieder an den Besitzer all dieser Herrlichkeiten : »Oh ja, Kapitän, ich begreife die Freude, die ein Mensch empfindet, wenn er durch solche Schätze wandelt. Kein europäisches Museum kann sich mit Ihnen messen. Aber meine Neugier ist noch längst nicht gestillt. Ich möchte wissen, welch geheimnisvolle Kraft dieses Fahrzeug treibt, bevor ich mich den Einzelheiten Ihrer Sammlung näher zuwenden kann. Ich sehe nämlich zwischen diesen Schaukästen hier immer wieder physikalische Instrumente mit ihren Skalen und Zeigern und ich wüsste doch zu gern, was …«
»Die gleichen Instrumente finden Sie auch in meinem Zimmer«, antwortete der Kapitän. »Ich habe nicht die Absicht, Sie über deren Bedeutung im Unklaren zu lassen. Kommen Sie mit!«
Er führte mich durch Sammlung, Bibliothek und Speisesaal, diesen architektonischen Dreiklang zivilisierter Menschen, wieder zurück auf den Gang, dem wir bis in den Vorderteil der Nautilus folgten.
Die erste Tür, die er öffnete, führte in meine zukünftige Kabine – ein elegant ausgestatteter Raum. Die Tür daneben war der Eingang zu seinem Zimmer. Alles hier drinnen wirkte ernst und mönchisch. Der Raum hatte nichts von der luxuriösen Pracht des Salons: Ein eisernes Bett stand darin, ein Arbeitstisch, Schüssel und Kanne zum Waschen. Und die Wände hingen eben voll mit Messuhren. Das war das Notwendige.
8. Kapitel
Die meisten dieser Instrumente kennen Sie«, sagte Kapitän Nemo, während er auf die Wände seines Zimmers wies. »Thermometer zum Messen der Innen- und Außentemperatur, Barometer zum Messen des Luftdrucks, Hygrometer zum Messen des Feuchtigkeitsgehalts, Wetterglas zur Frühwarnung bei Stürmen, Kompass zum Messen der Himmelsrichtung, Sextant zur Messung der Breite, Chronometer zur Errechnung der Länge, auf der ich mich befinde. Das sind Instrumente, wie sie jeder Seefahrer braucht. Aber
Weitere Kostenlose Bücher