2001 Himmelsfeuer
Landschaft, in der lediglich gedrungene, verwitterte Pflanzen wuchsen und ein trockener Wind leise wehklagend über den Sand strich. In der Ferne, inmitten des hartgebackenen Lehms, sah sie silbrige Wellen schimmern, aber mittlerweile wusste sie, dass das kein Wasser war, sondern ein Trugbild der Geister der Wüste. Sie blickte hinauf ins gleißende Sonnenlicht. Zu ihm, so sagte sie sich, zum Gott der Sonne, ihrem Vater, musste sie beten, jetzt, da der Mond sich zur Ruhe begeben hatte.
Als sie die Arme hob und nach den geeigneten Worten suchte, durchfuhr sie plötzlich ein Kopfschmerz, der sie in die Knie zwang. Die Hände an die Augen gepresst, überließ sie sich dem Schmerz und hatte plötzlich die Vision von einem Kind, das sich verlaufen hatte und zwischen Felsen herumirrte. Sie sah es von oben, wie durch die Augen eines Vogels. Und dann sah sie Menschen, die das Kind suchten, aber in der falschen Richtung, und sich so bei ihrem Bemühen, es aufzuspüren, immer weiter von ihm entfernten.
Kaum war der Schmerz verebbt, sagte sie zu Payat: »Der Rabe hat mir einen Jungen gezeigt, der sich verlaufen hat. Wir müssen ihn finden, ehe die Geier über ihn herfallen.«
Sie entdeckten den Jungen in einem ausgetrockneten, steinigen Flussbett, bewusstlos und fast verdurstet, aber noch am Leben. »Mein armer Kleiner«, flüsterte Marimi und kniete sich neben ihn. »Schau mal, Payat, er hat sich den Fuß verletzt.« Der Knöchel des Kindes war aufgerissen und blutete, blutverschmiert waren auch die Felsen, über die er geklettert war.
Marimi lehnte sich zurück und lauschte, schnupperte. Sie schloss die Augen und spürte der Vision nach, die der Rabe ihr aus der Vogelperspektive gezeigt hatte. »Da ist ein Bach«, sagte sie zu Payat und deutete über das Geröll.
Zuerst stillte Marimi Payats Durst und dann ihren eigenen, brachte auch dem Kind Wasser, das sie ihm tröpfchenweise einflößte. Sie pflückte am Ufer Gundelrebe, wickelte die frischen Blätter um den Knöchel des Kindes. Es gab Fische im Wasser; Payat fing sie mit einem Korb, und an diesem Abend, am Lagerfeuer, das so hell war wie der Vollmond, konnten sich die drei nach Herzenslust satt essen.
Tags darauf hatte sich der Junge bereits weitgehend von seinem Schrecken erholt. Er heiße Wanchem, sagte er, aber den Namen seines Clans oder den seiner Familie kannte er nicht, wusste auch nicht, wo er zu Hause war. Als Marimi überlegte, wie sie es anstellen sollte, ihn zu seinem Volk zurückzubringen, sah sie den Raben wieder, der ungeduldig am Himmel kreiste. Es blieb ihr keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Also schulterte sie Korb und Decke, ergriff ihren Speer, setzte sich Wanchem auf die Hüfte, nahm Payat an der Hand und zog einmal mehr der untergehenden Sonne entgegen.
Schließlich gelangten sie zum Westrand der Wüste, wo zerklüftete hohe Berge senkrecht emporragten. Marimi fand einen Durchgang, und nach beschwerlichen Tagen breitete sich vor dem Trio eine üppig grüne Ebene aus, von einem Grün, wie sie es noch nie gesehen hatten, durchsetzt mit Bäumen, so weit das Auge reichte, mit Flüssen und Teichen und sanften Hügeln. Auf ihrem Abstieg hinunter ins Tal stießen sie auf einen ehemaligen Trampelpfad, und da sie mutmaßten, er werde sie zu Nahrung und Wasser führen, folgten sie ihm. Und tatsächlich fanden sie sich nach einer Weile umgeben von Bäumen voller Früchte und Nüsse, von klaren, fischreichen Wasserläufen. Am liebsten wäre Marimi stehen geblieben und hätte gesagt: Hier sind wir zu Hause. Aber der Rabe flog immer weiter nach Westen, und Marimi folgte ihm, ohne eine Sekunde zu zögern.
Sie gingen den Pfad weiter, durch Lichtungen und offenes Land, über sumpfiges Gebiet und an großen, mit einer schwarzen Masse gefüllten Tümpeln vorbei, an deren Oberfläche es brodelte und die einen beißenden Gestank verbreiteten. Noch immer gen Westen zu, begegneten sie gelegentlich ein paar Leuten, die freundlich waren, aber sich einer für Marimi unverständlichen Sprache bedienten. Sie lebten in kleinen Rundhütten und teilten ihr Essen mit den Wanderern. Hin und wieder unterbrach Marimi ihren Weg, um nach einem kranken Kind oder Erwachsenen zu sehen, behandelte den Patienten mit Heilkräutern aus ihrem Gepäck.
Und dann wurde die Luft allmählich kühler, frischer und roch nach Salz. Als Marimi schließlich in der Ferne die begrünten Berge erblickte, spürte sie, dass ihr Ziel in Reichweite lag. Bald, so versicherte sie Payat und
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