2001 Himmelsfeuer
Federn der Schopfwachtel verziert waren. Ihre nackten Brüste schmückten zahlreiche Perlenketten sowie eine lederne Schnur mit einem ebensolchen kleinen Beutel, in dem sich der Geisterstein des Raben befand, das Vermächtnis der Ersten Mutter, über Generationen hinweg weitergereicht. Das Mädchen hieß Marimi, so genannt, weil sie die Hüterin der heiligen Höhle in Topaa-ngna war. Früher hatte sie anders geheißen; als sie dann aber Anzeichen der Gabe des Geistes zu erkennen gegeben hatte – Kopfschmerzen, Visionen und Trancezustände –, war sie zur Nachfolgerin der alten Medizinfrau, die ebenfalls Marimi hieß, erkoren und für den Dienst an den Topaa und der Ersten Mutter ausersehen worden, der höchsten Ehre, die einem Mitglied des Clans zuteil werden konnte. Marimi erwies sich jeden Tag aufs Neue dankbar, mit dieser Gabe gesegnet zu sein, auch wenn ihr Dienst an der Ersten Mutter mit dem Verzicht auf Ehe und körperliche Vereinigung einherging. Wenn sich gelegentlich nachts, wenn sie allein in ihrer Hütte lag, Gedanken um Liebe und Kinder einschlichen oder wenn sie daran dachte, wie jung sie noch war und dass ein ganzes Leben in Enthaltsamkeit vor ihr lag, dann sagte sie sich, dass der jungfräuliche Zustand Voraussetzung war, sich und ihren Geist rein zu halten, dass dies eigentlich nur ein kleines Opfer war angesichts der Ehre, der Ersten Mutter zu dienen.
Sie blinzelte hinaus aufs Wasser. »Kein Meeresungeheuer«, verkündete sie. »Ein Mann.«
Stimmen schwirrten wie Fliegen durcheinander. »Ein Mann? Einer von uns? Aber es fehlt doch keiner. Alle Boote sind heute zurückgekommen. Die Jäger des Meeres sind vollzählig. Was tut ein Mann auf dem Wasser?« Und dann Raunen und Mutmaßungen im Flüsterton. »Einer vom Stamm im Norden? Von den gefürchteten Chumash? Er kommt, um Fluch über uns zu bringen! Schick ihn wieder hinaus aufs Meer.«
Marimi hob die Arme, worauf die Menge verstummte. Majestätisch auf einer Düne stehend, über sich Möwen, die am strahlend blauen Himmel kreisten, das lange schwarze Haar im frischen Wind vom Meer her flatternd, behielt die Schamanin den wie leblos treibenden Mann draußen auf dem Wasser im Auge und fasste einen Entschluss. Sie rief nach einem Boot, und sofort rannten alle zurück ins Dorf und schulterten eines der großen, aus Treibholz zusammengefügten und mit Harz abgedichteten seetüchtigen Kanus. In diesen mächtigen Booten, in denen mehr als ein Dutzend Männer Platz fanden, fuhren die Topaa mit ihren Speeren, Netzen und Haken Tag für Tag hinaus aufs Meer, um Wale, Tümmler, Seehunde und Rochen zu erlegen. Jetzt aber brachten sie das Kanu zu Wasser, um eine andere Beute zu jagen. Unter den Blicken der Zurückgebliebenen tauchten die Ruder im Takt in die Wellen, bis die Männer den Dahintreibenden erreicht hatten. Sie nahmen ihn an einen Walhaken und hievten ihn an Bord.
Die Flut schwemmte das Kanu an Land und damit auch den geheimnisvollen Fang, der sich tatsächlich als ein Mann entpuppte, der da, mit dem Gesicht nach unten, regungslos auf einer Holzplanke im feuchten Sand lag. Die Menge hielt abermals den Atem an. »Kein Chumash! Schaut mal die Häute an seinem Körper an! Und seine Füße sind so groß wie die eines Bären!« Verängstigt wichen sie zurück.
Der Häuptling, mächtig auch er, aber auf andere Weise als Marimi, trat zu der Schamanin und besprach sich mit ihr. Gemeinsam würden sie entscheiden, wie sie auf dieses unerwartete Ereignis zu reagieren gedachten.
In den vergangenen Wochen hatte man weit draußen auf dem Meer seltsame Kreaturen gesichtet, mit großen, viereckigen Flügeln und aufgedunsenen Leibern. Jäger waren hinausgepaddelt und hatten dann berichtet, dass das keine Lebewesen seien, sondern seetüchtige Boote, wie sie die Topaa noch nie gesehen hätten. Angehörige eines Stammes im Süden, die nach Norden gezogen waren, um mit den Chumash Handel zu treiben, und jetzt auf dem Rückweg vorbeikamen, erzählten, weißhäutige Männer seien auf den Inseln gelandet und hätten Tauschgeschäfte gemacht und mit den Stammesältesten gefeiert, ehe sie wieder in ihren herrlichen Kanus über das Wasser entschwunden seien.
Freundliche Besucher, sagten sie, von weit her. Aus dem Land der Vorfahren.
Gehörte dieser Mann hier etwa zu ihnen?, fragte sich Marimi mit Blick auf den salzverkrusteten Körper, der da bäuchlings vor ihr lag und in so merkwürdige Häute gehüllt war. Warum hatte er sein Kanu verlassen?
Auf ihre Anweisung hin
Weitere Kostenlose Bücher