2001 Himmelsfeuer
Geisterstein vom Hals und hängte ihn Angela um. Dann kniete sie sich vor das Kind, umfasste seine Schultern. »Dein Name ist Marimi«, sagte sie. »Du bist nicht mehr Angela. Ich werde dich in ein Dorf bringen, dessen Bewohner nichts von dem spanischen Gott wissen, der sein Volk anweist, anderen ihr Land und ihre Habe zu stehlen. Du wirst aufwachsen nach Art der Topaa und der Ersten Mutter.«
Sie legte dem kleinen Mädchen, diesem Engel, den sie von einem Heiligen empfangen hatte, die Hand an die Wange und sagte: »Mein Liebling, du bist etwas Besonderes, eine Auserwählte. Die Schmerzen, die du zuweilen im Kopf spürst, rühren nicht von einer Krankheit her, sie sind vielmehr ein Geschenk, und eines Tages wirst du das begreifen. Bis dahin …«
Ein Hustenanfall schüttelte sie. Sie krümmte sich vor Schmerzen.
»Mama!«, schrie das Kind auf.
Teresa hielt den Atem an, bis der Schmerz verebbte. Der weite Weg von der neuen Plaza hierher hatte sie völlig erschöpft. Es war ihr nicht klar gewesen, wie schwer krank sie war. »Hör zu, was ich dir zu sagen habe, meine Tochter. Dein Name ist ab jetzt Marimi, verstehst du? Du bist nicht mehr Angela. Diesen Namen haben dir die fremden Christen gegeben, die nicht hierher gehören. Du bist Marimi, die neue Hüterin der Höhle. Hast du verstanden?«
»Ja, Mama.«
»Sprich ihn nach, Tochter. Sag mir deinen Namen.«
»Ich bin Marimi, Mama.«
»Gut … Und jetzt gehen wir. Westlich von hier liegen Dörfer, die die Eindringlinge niemals betreten haben. Dort sind wir in Sicherheit. Die Soldaten werden uns nicht finden.«
Sie wandte sich dem Ausgang der Höhle zu, als unversehens ihre Beine nachgaben und sie zu Boden stürzte. »Ich kann nicht mehr weiter«, sagte sie atemlos. »Marimi, hör gut zu. Du musst Hilfe holen. Geh das Tal hinunter und dann aufs Meer zu. Schaffst du das?«
Das Kind nickte feierlich.
»Dort liegt ein Dorf … einige aus unserem Volk leben noch dort. Sag ihnen, dass ich hier bin, in der Höhle der Ersten Mutter, und dass ich krank bin. Wiederhol es mir, mein Kind, damit ich weiß, dass du verstanden hast.«
Angela wiederholte die Anweisungen. Teresa lehnte sich an die Wand. »Sie haben Medizin, die mich gesund macht. Und dann werden wir bei ihnen bleiben, bei unserem eigenen Volk. Geh jetzt, mein Kind. Aufs Meer zu. In das Dorf. Und bringe sie her. Ich warte solange.«
Die Kleine kletterte das Tal hinab, war derart bedacht darauf, das ihr Aufgetragene zu erfüllen, dass sie darüber die Orientierung verlor. Wo immer sie sich hinwandte, sah sie enge Täler, weitere Felsen, aber kein Meer, kein Dorf. Sie fing an zu weinen.
Da stand plötzlich ein halb nackter Mann vor ihr, mit langem, zerzaustem Haar, sonnenverbrannter Haut und grimmig wirkendem Gesicht.
Angela wollte weglaufen, aber sie war gefangen. Der wilde Mann stand zwischen ihr und dem Ausgang des engen Tales.
Verblüfft starrte er, der um so vieles größer war, auf sie herab. Er war ausgemergelt, sein nur mit einem zerfetzten Lendentuch bekleideter Körper mit Narben und Wunden übersät. Aber er besaß wache grüne Augen, in denen es gleich darauf aufblitzte. »Warum weinst du, mein Kind?«
Seine Stimme war überraschend sanft. Angelas Tränen versiegten. »Meine Mama ist krank, und ich kann das Dorf nicht finden.«
Er zwinkerte, sah sich um. »Wo ist sie?«
»In der Höhle.«
Der Mann erstarrte. Die Höhle. Er erinnerte sich an eine Höhle … war das Jahre her oder erst gestern gewesen? Die Höhle, in der er Ekstase erfahren hatte und von der Hand Gottes berührt worden war und seither jeden Tag mit Jesus dieses Gebirge durchstreifte.
Er runzelte die Stirn, sah sich das Mädchen genauer an. Dieser Haaransatz, der Schnitt ihrer Augen, die vollen Lippen. Teresa!
Und noch etwas. Ein Grübchen an ihrer rechten Wange. Seine eigene Mutter … Längst verblasste Erinnerungen drängten hervor. Seine Schwester. Das gleiche Grübchen.
»Weine nicht, meine Kleine.« Als er jetzt lächelte, wurden abgebrochene Zähne sichtbar. »Ich weiß, wo deine Mama ist. Ich kenne die Höhle. Wir werden ihr helfen und sie gesund machen.« Er streckte Angela eine knorrige Hand hin, und das Kind ergriff sie.
»Stehen bleiben!«, donnerte urplötzlich eine Stimme und hallte als Echo von den Wänden des Canyons wider.
Angela und der wilde Mann fuhren herum. Am Fuße des Tals stand ein spanischer Offizier. »Lass sie los!«, befahl er.
Mit ausgestreckten Händen trat Bruder Felipe einen Schritt
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