2012 – Das Ende aller Zeiten
2 JS wäre gezwungen, mehr als die Hälfte seines Besitzes aufzubringen. Und ihre Verbündeten und Abhängigen und andere Unterstützer würden zusammen noch mehr setzen.Sollten die Harpyien das Spiel verlieren, wäre auch ein riesiger Teil ihres Eigentums futsch, doch sie würden am Leben bleiben und nicht zu Sklaven werden, zumindest eine Zeit lang. Sollten sie im letzten Teil des Spiels gewinnen, würden die Ozelots wahrscheinlich ein Foul vortäuschen. Das müssten die Harpyien dann anfechten, und es käme sofort zum Bürgerkrieg. Oder den Ozelots würde es gelingen, das Spiel von Anfang an zu manipulieren, entweder indem sie die Schiedsrichter auf ihre Seite zogen, oder durch einen anderen Trick. Also würden sie entweder den Besitz bekommen oder, wenn die Harpyien sich wehrten, angreifen. So oder so waren die Harpyien angeschmiert. Das Ganze war ein durchsichtiger Betrug, aber das zählte nicht. Einer Herausforderung konnte man sich nicht verweigern. Wenn man in dieser Gesellschaft das Gesicht verlor, verlor man alles.
La gran puta, dachte ich. Na, wenigstens verstand ich so langsam, was ich vorher nicht gewusst hatte: Das Harpyien-Haus stand unter enormem Druck. Vielleicht wäre ich zu einer anderen Zeit in der Lage gewesen, die Erfindung der Töpferscheibe oder etwas Ähnliches durchzuziehen. Egal wo man auch hinkam, Mafia-Bosse wie 2 JS und 9 RK standen immer kurz vor einem Revierkampf. Und nach meinem mul- Fiasko hatte 9 RK einen Anlass, den Ausbruch der Feindseligkeiten zu erzwingen. Und er würde gewinnen.
Es ist hoffnungslos, dachte ich. Ich stehe auf der falschen Seite. Ich sollte mich hier wegschleichen und zu den Ozelots überlaufen. Nur dass ich erstens nicht zur Tür rauskäme, geschweige denn zur anderen hinein, und dass mich zweitens die anderen nicht so verstehen würden wie er. Ich hätte schon Glück, wenn die mich nur verspeisen, ohne mich vorher zu foltern …
Oh-oh.
Ich hatte das schreckliche Gefühl, dass 2 JS erriet, was ich dachte. Ich meine das mit dem Überlaufen.
Ich schaute ihn an. Er schaute mich an. Ich wich dem Blick nicht aus.
Zuerst dachte ich, gleich werde er befehlen, mich zu töten. Doch als das gegenseitige Anstarren weiterging, Sekunde für Sekunde, merkte ich, dass ich mich ihm fast nahe fühlte. Vielleicht war das nur das Stockholm-Syndrom. Und wenn man sich in einer seltsamen Lagebefindet, hält man sich an die Person, die einem am ähnlichsten ist, selbst wenn diese Person darauf aus ist, einem zu schaden. Vielleicht ist 2 JS doch gar kein so übler Kerl. Vielleicht hat er so viel von mir in sich, dass er sich mir nahe fühlt …
Hör auf, dachte ich. Werde bloß nicht anlehnungsbedürftig. Der Bursche hat dir gerade erst die schlimmsten Stunden deines Lebens bereitet. Schon vergessen?
»Binde dein Uay bei Nacht an seinen Pfosten«, sagte er. Das hieß so viel wie: Komm nicht auf irgendwelche Ideen. Doch er sagte es mit einem Anflug von Humor.
Puh, dachte ich. Okay. Wechseln wir das Thema.
»Ich möchte noch mal spielen«, sagte ich, denn ich wollte des Alten Pöklers Staub noch einmal probieren und herausfinden, ob 11-Wirbeln mir wirklich schon die Schlinge um den Hals legte, was die Harpyien als Nächstes tun sollten und was wegen des Ballspiels zu unternehmen wäre. Ich sagte nicht, ich sei ein besserer Spieler als 7-Zacke, aber es war klar, dass ich das dachte.
Er sagte, ich dürfte ein paar Tage lang keine neue Dosis nehmen. Man müsse sich »daran schleifen«, sagte er. Das heißt, man durfte die Dosierung nur ganz langsam erhöhen, über die Jahre hinweg. Und selbst wenn ich eine Toleranz entwickelte, würde ich nicht so viel wissen wie 11-Wirbeln. Das Spiel hatte Geheimnisse, die ein Addierer mit wenigen Schädeln nicht wissen sollte und die ein Addierer mit mehr Schädeln ihm nicht beibringen würde. Ein König wollte nicht, dass sein Hausaddierer zu viele Lehrlinge ausbildete, weil vielleicht ein Feind einen in die Hände bekommen konnte. Die meisten Addierer, auch die, die aus einer Maya-Stadt stammten, wurden in Tamoan ausgebildet, und pro K’atun verließen nur wenige diese Stadt.
Tamoan?, wunderte ich mich. Den Namen kannte ich nicht, doch er löste in Schakal eine Assoziation aus, eine Dreiergruppe riesiger Pyramiden.
2 JS sagte, dass von den zweiunddreißig existierenden Neun-Schädlern, von denen er wisse, sich achtzehn in Tamoan aufhielten. Die anderen vierzehn lebten an verschiedenen Königssitzen Mesoamerikas, meistens einer,
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