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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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uns an, ohne jede Feindseligkeit, doch auf eine offen neugierige Weise, die trotzdem beklommen machte. Vielleicht lag es bloß an der Farbe. Maya bemalten sich die Gesichter nur zu wenigen besonderen Anlässen. Die Teotihuacáner bemalten ihre Gesichter, ehe sie vor die Tür gingen. Gleichzeitig war die Gesichtsbemalung auf aggressive Weise abstrakt: Dunkle Bänder zogen sich über die Augen, maskierten die Züge und ließen jeden gleich aussehen bis auf die Punktmuster der Sippenmarkierungen, die ich sowieso nicht lesen konnte. Einige hatten Pusteln oder Geschwüre unter der Farbe, und ziemlich viele sahen nicht besonders gesund aus. Es wurde viel gehustet und ausgespuckt. Hier grassiert die Tuberkulose, dachte ich. Hier lebt man dicht an dicht. Wahrscheinlich gibt es auch etliche Parasiteninfektionen, vielleicht sogar unbekannte Seuchen … Na prima, genau das hat uns noch gefehlt.
    Wir schoben uns weiter vor. Die Menschenmengen wurden dichter. Mich befiel ein unheimliches Gefühl, was diese Stadt anging. Ich meine, zusätzlich zu den zehntausend anderen unheimlichen Gefühlen, die ich sowieso schon hatte. Was stört mich eigentlich, fragte ich mich. Es lag nicht daran, dass Teotihuacán schmutzig gewesen wäre; im Gegenteil, die Stadt hatte eine gewisse, geradezu schintoistische Sauberkeit an sich. Und sie war auch nicht voller zwielichtiger Gestalten. Eher machten die Menschen, an denen wir vorbeikamen, den Eindruck, einer Mittelschicht anzugehören. In einer Maya-Stadt wäre das undenkbar gewesen. In Ix war man entweder wer, oder man war ein Niemand. Vielleicht rührte mein Unbehagen auch daher, dass alle Mauern mit Kohle eingerieben waren und aussahen, als beständen sie aus frischer Holzkohle, ein stumpfes Mattschwarz mit Flitter darin. In einer schwarzen Stadt zu sein ist merkwürdig. Andererseits war Teotihuacán nicht so einheitlich schwarz, wie es vom Pass ausgesehen hatte. Das Pflaster bestand, wo es welches gab, aus rotem Stein, in denoberen Fenstern hingen bunte Stoffe, es gab Muschelbänder, und die Gewächse, die von den Dachlauben herunterhingen, verliehen dem ganzen ein Flair à la Hängende Gärten von Babylon. Vielleicht hatte mein unheimliches Gefühl damit zu tun, dass ich keine Inschriften sah, keine Zeichen, keine Hieroglyphenmonumente, keine angeschlagenen Plakate, nichts. 12-Kaiman hatte sogar angemerkt, dass es nicht einmal eine schriftliche Form der Sprache gab. Vielleicht betrachtete man das Schreiben als ausschweifenden Luxus. Jedenfalls waren die Teotihuacáner bis auf ein paar Buchhalter, die von eingewanderten Maya-Schreibern gelernt hatten, Analphabeten. Dennoch herrschte hier, was die Verwaltung anging, ein ziemlich strenges Regiment. Wir wandten uns nach Norden in eine noch dunklere Gasse.
    Warum mussten wir im Weißen Distrikt sein, das heißt, auf der schwarzen Seite, fragte ich mich. Ich wette, die rote Seite der Stadt ist hübscher. Und warum heißt die schwarze Seite der Stadt der Weiße Distrikt? Das ist wie in den USA , wo die Bundesstaaten, die man »rote Staaten« nennt, alles andere als rot sind, sondern eher militant antikommunistisch. Wohl alles um der lieben Verwirrung willen.
    Jede Familie in der Stadt gehörte einer der beiden Bevölkerungshälften an. Die Aura- oder Weiße oder Friedens-Hälfte wohnte im Allgemeinen auf der westlichen – schwarzen – Seite der Hauptachse. Es gab Hunderte von bedeutenden Sippen der Weißen, aber die wichtigste war die Sippe des Morgenprachts. Der Patriarch des Morgenprachts war der 40-Agouti, von dem 2 JS mir erzählt hatte, er sei der hiesige Pflegevater der Frau Koh und Archon der Weißen Synode. Angeblich lautete ein anderer Name für ihn »Friedensherr«. Die andere, die Rote Hälfte, die Schwalbenschwänze, wurde traditionell von der Puma-Sippe geführt. Der »Kriegsherr«, das Oberhaupt der Puma-Sippe, hörte auf den mir sehr eigenartig vorkommenden Namen Kot-Locke. Auras befassten sich traditionell mit Ackerbau, Wasserzuteilung, dem, was bei uns »Religion« hieß, Handel und den meisten Handwerken. Schwalbenschwänzen oblagen der Krieg wie auch die Waffenherstellung und der Außenhandel. Man würde meinen, dass eine solche Trennung rasch zu gewaltigen Schwierigkeiten führen müsste, aber weil innerhalb der Hälften nicht geheiratet werdendurfte – ein Aura-Mädchen hatte einen Schwalbenschwanz-Jungen zu ehelichen –, bestanden zwischen beiden Gruppen komplizierte Verwandtschaftsbeziehungen, und sie hingen gegenseitig

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