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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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ist, dachte ich. Oder? Obwohl ich im Allgemeinen vermeide, umfassende Äußerungen über die Menschheit als Ganzes zu machen – nicht weil ich falsch liegen könnte, sondern weil schon alles gesagt worden ist –, so ist eines wohl klar: Entweder man hat Einfühlungsvermögen oder, was häufiger vorkommt, man hat es nicht. Und entweder gehörte sie zur ersten Sorte, oder für uns war es aus, und mehr ließ sich dazu nicht sagen.
    Okay, denk nach.
    Einfühlungsvermögen war ein etwas zu abstraktes Konzept, umes auf Ixianisch zu beschreiben. Man musste es in der Sprache der Familie ausdrücken.
    Okay, los geht’s.
    »Ich weiß …«, begann ich, »ich weiß, wenn du auf der Straße wärst und jemanden sähest, der einen Fünfrunder erwürgt« – das ist in etwa ein drei Jahre altes Kind – »dann würdest du ihn davon abhalten wollen. Selbst wenn es sein Kind wäre, selbst wenn das Kind besessen wäre, selbst wenn er jedes Recht besäße, es zu töten, würdest du es doch verhindern wollen, und wenn du die Macht hättest, das heißt, wenn du ihn aufhalten könntest, dann würdest du es tun.«
    »Deine Heimzeitler sind nicht auf unserer Straße«, erwiderte sie.
    »Doch, das sind sie. Bis dahin sind zwanzig mal zwanzig mal zwanzig von ihnen deine Nachfahren oder Nachfahren deiner Schwestern, deiner Brüder, denn …«
    Ich verstummte und sah zu ihr hoch. Ihre Augen blickten noch immer an mir vorbei, über meinen Kopf hinweg.
    »Sie sterben«, sagte ich. »Sie werden sterben, und kurz vor ihrem Tod werden sie sich fragen, weshalb niemand ihnen helfen wollte, und wenn sie wüssten, dass ich unter dir und du sie hätten retten können und sich dagegen entschieden, dann würden sie sich fragen, weshalb, und wenn wir es ihnen sagten, wäre es nicht Grund genug …«
    Ich verstummte. Diese Tränen, die niemals das Licht der Welt erblicken würden, stiegen mir wieder ein wenig hinter den Augäpfeln auf. Und ich keuchte, ich hatte Atemnot, und ich stotterte beinahe wie damals, als ich klein war, wenn ich Angst hatte und Englisch sprechen wollte. Verdammt, Jed, reiß dich zusammen, reiß dich –
    »Ich neben dir habe mich entschieden«, sagte Koh.
    »Zu viele Sonnen wurden schon geboren
    Und zu viele kommen noch.
    Alle maisfleischigen Menschen enden an der Sonne
    Von 4 Oberherr, 3 Gelbe.
    Vielleicht kommt eines Tages ein neuer Erbe von Iztamna,
    Vielleicht formt er neue Stammlinien aus einem anderen Stoff,
    Vielleicht aus Jade.«
    Sie hielt inne und wollte dann: »Ca’ek« sagen, »Fertig«, doch ich unterbrach sie.
    »Warte!«, sagte ich – na gut, ich brüllte – »warte, du hast nicht …« – ruhiger, Jed, dachte ich – »du weit über mir hast nicht das Recht, das für sie zu entscheiden. Nicht einmal dann, wenn deine Entscheidung richtig ist.«
    »Nein«, sagte sie, »es ist vielmehr so, dass ich nicht das Recht habe, ihre Zeit auf der nullten Ebene zu verlängern, selbst wenn ich könnte.«
    »Nein, das hast du, es … du möchtest sie retten, aber du glaubst, du solltest es nicht tun, aber wenn das, was ich gesehen habe, irgendetwas dem hinzufügen kann, was du gesehen hast … ich meine, ich bin an beiden Orten, beiden Zeiten gewesen und habe Dinge gesehen, die …«
    Verdammt. Ich wusste nicht mehr, was ich hatte sagen wollen. Ich begann erneut:
    »Wenn ich eines weiß – und es ist nicht einmal etwas Gutes, aber es ist wahr –, dann dass man tun darf, was immer man will.«
    Da ich ohnehin schon so gut wie jede Anstandsregel gebrochen hatte, sah ich ihr in die Augen. Sie riss sie weit auf, und sie traten hervor – nein, Moment, das stimmte gar nicht. Sie hatte die Augen geschlossen, aber ihre Lider waren mit Bleiweiß bemalt, sodass sie aussahen, als wären sie noch offen und pupillenlos, als stammten sie von Harold Gray in Little Orphan Annie.
    Puh.
    Das war ein kleiner Schock. Ein Schöckchen. Verdammt, hatte sie die ganze Zeit nie geblinzelt? Na, wenn sie geblinzelt hatte, dann hatte ich es verpasst. Okay.
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also sah ich nur ihre falschen Augen an. Ich vermute, sie hatte nicht den Blick niederschlagen oder mich zurechtweisen wollen, wozu sie das Recht gehabt hätte, also hatte sie einfach die Augen geschlossen.
    Komm schon, Jed. Lass dir was einfallen.
    »Ich unter dir fordere dich heraus, mich anzusehen«, sagte ich. Es war, als hätte ich gesagt: »Hau mich doch, wenn du dich traust.« Dennoch, mir kam es vor, als brauchte ich das, als brauchte ich ein bisschen

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