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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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stand. Es war wie im Wartezimmer eines Arztes, wo wir alle darauf warteten, dass die Sprechstundenhilfe uns aufrief und in möglichst unverbindlichem Tonfall sagte, unser Befund liege vor.
    Aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts wird sich das alles wahrscheinlich ziemlich albern anhören. Schließlich war es nur eine Sonnenfinsternis. Aber auf einer anderen Ebene – und auch dann, wenn ich versuchte, eine gewisse emotionale Distanz zu wahren – konnte ich mich dem Gefühl nicht entziehen, dass eine gewisse Vernunft hinter der ganzen Sache stand. Hier tat wenigstens nicht jeder ständig so, als wäre alles in bester Ordnung.
    Ich warf einen Blick nach rechts zum Stadtzentrum. Die große Hauptachse erstreckte sich nach Norden. In der Stadt wimmelte es von frisch gewebten Wimpeln und langen Bändern aus Löffelreiherfedern, die an hunderttausend orange gefärbten Bambusstangen hingen, um die Sonne anzuziehen, und die sich im schwachen Wind ringelten wie die Tentakeln Achtstrahliger Blumentiere. Unter den Bannern standen Tausende von Geblüten auf dem besten Stück Land des Teocalli-Bezirks, und jeder trug einen kleinen kreisrunden Schild über der linken Schulter. Jeder Schild zeigte ein buntes, schlichtes geometrisches Federmuster, und wie ein Feld voller Sonnenblumen wiesen alle Schilde in die gleiche Richtung – nach Westen. Man hätte meinen können, wir wären mittelalterliche Ritter mit Wappenschilden, die sich auf dem Feld des Güldenen Tuches zu einem Turnier einfanden. Keine einzige Person war mit unbedecktem Haar oder nacktem Gesicht zu sehen. Selbst die Sklaven trugen Lumpen um die Münder gewickelt. Höherstehende waren dermaßen mit Jade und Stachelausterschalen überzogen und trugen so viel langfedrigen Kopfputz, dass sie Ektoskelette und Fühler zu besitzen schienen. Es war, als wären die Menschen dieser Stadt an Ort und Stelle festgenagelt, in Schubladen sortiert nach Großhaussippe, abhängiger Sippe, Untersippe, Unteruntersippe, Dienersippe und Sklavensippe und jedem Einzelnen in dieser Sklavensippe. Sie waren beinahe militärisch organisiert, nur dass im Unterschied zu den Uniformen bei einer modernen Parade keine zwei Personen genau die gleichen Kennzeichen trugen.
    Ich ließ den Blick über die Hauptachse nach Norden schweifen, wo zwei Plätze das Mattblau des Himmels reflektierten. Die versenkten Felder nahe der mul des Ozelots waren wie Schwimmbecken mit Wasser gefüllt worden. In einem standen Axolotl, Wasserlilien, und Jaibaru-Störche, die der Jadehexe heilig waren. Das Wasser im anderen Teich war leer. Angeblich war es mit Ololiuqui versetzt, damit die Gefangenen, die man später hineinwerfen würde, ertranken, ohne um sich zu schlagen. An seinem westlichen Rand erstreckte sich eine Reihe niedriger Opferplattformen; auf einer von ihnen konnte man gerade einen türkisen Schimmer ausmachen, bei dem es sich um die fünf ixianische Ozelots handeln konnte, die 9-Reißzahn-Kolibris Festdelegation darstellten. Wenigstens ihnen konnten wir bislang ausweichen, dachte ich.
    Am Mittelpunkt der Hauptachse ragte die riesige, bedrohliche Hurrikan- mul empor und ließ alles andere zwergenhaft erscheinen. Ihre Spitze ragte doppelt so hoch auf, wie wir über dem Platz standen – so hoch, dass man an einem dunstigen Tag oder im Opferrauch tatsächlich glauben konnte, dass die Säuger dort oben von hungrigen Wolken verschluckt wurden. Doch heute konnten Schakals scharfe Augen die gesamte Szene erfassen, die rangniederen Synodenmitglieder auf der zweitobersten Ebene mit ihrer Reihe gewaltiger Sprachrohre, die zwanzig Arme lang waren, an Alphörner erinnerten und auf ihren Schultern ruhten, und schließlich, ganz oben, die hohen orangeroten Kopfputze der Puma-Synode, die soeben aus den vier Mäulern des Teocalli heraustraten.
    Die Menge regte sich. Die verzerrende Perspektive, die durch die zurückweichenden Stufen der Pyramide entstand, ließ die Synode wie Riesen aussehen, weiter entfernt als die Himmelsschale. Teotihuacán hatte keine Könige, und die Archontate wurden zwischen unterschiedlichen Mitgliedern beider Räte hin und her gereicht. Wenn sie in der Öffentlichkeit auftraten, waren sie bis zur Unkenntlichkeit maskiert; außerhalb des Rates durfte niemand wissen, wer sie waren. Koh wusste jedoch aus verlässlichen Quellen, dass der gegenwärtige Archont der Schwalbenschwänze ein älterer Puma namens Kot-Locke war. Sie hatte mich auch auf seinen wahrscheinlichen Nachfolger aufmerksam gemacht,

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