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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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Stille:
    »Charhápiti sini, chá jucha phumuári…«
    »Du mit roten Zähnen, wirst du uns nun häuten
    Und zerstreuen über deiner Dunkelheit?
    Wirst du niemals in die Mitte des Sees,
    Der Himmelsschale zurückkehren? Du …«
    Das Tal Teotihuacáns hat die Echowirkung einer Flüstergalerie. Wenn verputzte Bauten die Hänge bedeckten, waren die Echos viel stärker. Es gab keinen Zweifel, dass jedes Lebewesen im ganzen Tal Kot-Locke gehört hatte. Eine Antwort kam aber nicht. Und wurde auch nicht erwartet. Das war das Einzige, was Kot-Locke sagen würde, und die letzten Worte, die wir hören würden, bis er den Befehl zum Lärmen gab.
    Ich konzentrierte mich auf Hun Xocs Harpyienfederkopfputz in dreißig Zentimeter Entfernung. Am Gitterwerk der Fasern war etwas Seltsames. Sie veränderten sich, wurden deutlicher. Der Schwarze Verschlinger, der noch viel mächtiger war als die Sonne, hatte die Ränder von sämtlichen Dingen ausgezackt. Ich sah zu den Leuten auf den Stufen unter uns. Alles hatte dieselbe Kräuselrunzelwellkrankheit an den Rändern, als ob jede lose Faser, jeder Vorsprung sich zu einem Haken krümmte und schärfte, zu einem verbogenen Fingernagel. Mir schauderte.
    Ich horchte. Die Vogelrufe waren verstummt. Ich hörte nicht einmal eine Fliege summen.
    Lasst uns loslegen, Leute.
    Ich kniff das linke Auge zu und wagte noch einen Blick zur Sonne. Sie war bereits zu einem dünnen Streifen wie ein Wolframglühfaden geschrumpft. An ihrem rechten Rand lugten zwischen dem Humboldt-Krater am Horizont des unsichtbaren Mondes Baily’sche Perlen hervor . Viel besser wäre, wenn sie auf der Erde so wenig wie auf dem Monde hätte das Phänomen des Lebens hervorrufen können , wie Jupiter tonans sagte. Der vernünftigste Mensch, der je gelebt hat, dachte ich. Na ja, befassen wir uns nicht länger damit. Draußen auf den Plätzen und oben auf den Bergen sahen die dichten Menschenmengen stachelig und bedrohlich aus. Jetzt war die Sonne ein Kreis mit jener Lichttrachee, die als Diamantring bezeichnet wird. Der Rand zwischen Licht und Schatten auf Hun Xocs vernarbter Wange war so scharf, als käme das Licht durch ein Nadelöhr. Seine rot eingeölte Haut sah braun aus und seine blauen Stirnbänder grau, beinahe so, als stünden wir unter Natriumlicht in einem Dystopolis der Zukunft. Die Korona blühte auf und wuchs rings um das Loch im Himmel wie kardiotoxische Tentakel einer Würfelqualle. Houston, wir haben Totalität, dachte ich.
    Durch die Menge ging ein Schaudern, eine gewisse Unruhe. Man konnte spüren, dass millionenfach der Atem in den Lungen stockte,und man roch die hysterische Spannung, die entsetzliche Angst, dass die Quelle aller Wärme dem Magen des Schwarzen Verschlingers nicht mehr entkommen könnte. Ich, oder sagen wir besser: selbst ich – es ist nur fair zu sagen, dass ich hier der Mensch mit dem geringsten Aberglauben war – musste mir zureden, dass das nur eine Phase war. Alles würde wieder so werden wie immer.
    Nicht wahr?
    Ich horchte. Es herrschte noch dieselbe verschwommene Stille. Ich sah wieder zu dem geblendeten Zwilling hinauf. Noch immer total. Blieben noch knapp zwei Minuten. Okay, macht schon, Leute, wann immer euch danach ist.
    Jederzeit.
    Scheiße.
    Ich machte das rechte Auge zu, damit es sich erholte, und richtete das linke auf die Linie der westlichen Berge. Nichts.
    Ich horchte.
    Nichts.
    Macht schon. Tut es …
    Von Osten strömte etwas über das Tal, ein dünnes Geräusch wie von einem langen Mylarband. Es war ein Geräusch, das keinen Namen hat. Ich glaube, zuerst waren sich die Leute in dem Tal gar nicht sicher, ob es ein Geräusch war. Als es dann anhielt und ein bisschen lauter wurde, dachten wahrscheinlich viele, es wäre eine Zikade, was von allem Natürlichen der Sache am nächsten kam. Das Geräusch breitete sich aus, wurde auch an anderen Plätzen hörbar. Obwohl die vielen menschlichen Leiber den Schall dämpften, prallten die Akkorde von den Flächen der hundert mulob’ ab. Zuerst schien es von Osten zu kommen, dann vielleicht von Süden, dann vielleicht irgendwo aus der Nähe, und als sich mehr unsichtbare Quellen anschlossen, wurde es immer lauter – viel lauter, als ich erwartet hatte.
    Meine Praktikanten unten in dem staubigen Keller mit dem Rattenkot und den mit Maishülsen gedämmten Wänden waren mehr als erschrocken, als sie das Geräusch zum ersten Mal hörten. Zuerst graute es ihnen, dann waren sie fasziniert, und dann mussten sie es meistern. Stellen

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