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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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Sie sich vor, Sie hätten noch nie vorher eine Violine gehört, überhaupt noch kein Streichinstrument, nicht mal das Zupfen an einem gespannten Bindfaden. Wie würde es sich für Sie anhören? Ein bisschen wie eine Zikade, ein bisschen wie eine Bimssteinfadensäge, ein bisschen wie eine Katze und ein bisschen wie ein Bienenschwarm.
    Der Klang von Saiten ist ein großes technisches Wunder. Nichts anderes ist so erschütternd und so hypnotisch, nichts verbindet so viel Schärfe mit so viel Weite. Nichts gleicht dieser Klangwelle, die einem ins Ohr sägt. Selbst Hunden wird dabei unheimlich, bis sie sich daran gewöhnt haben. Es war fesselnd.
    Natürlich bekamen es meine Praktikanten – die Fünfzehn Fiedler, wie ich sie nannte – nicht ganz richtig hin. Was wir hörten, war Lichtjahre entfernt von den Berliner Philharmonikern. Es war sogar schrecklich. Und natürlich hörten sich die Instrumente nicht so ganz wie Cellos oder Violinen oder Dilrubas oder Bratschen an. Aber sie waren anständige, volltönende, gut mit Kolophonium bestrichene Saiten ohne Risse, die mit einem Bogen gespielt wurden. Und meine Jungs machten es dann doch so gut, dass man denselben Schauder spürte, wie wenn man es zum ersten Mal hörte:



(56)
    Als sie die Phrase zum fünften Mal wiederholten, stiegen aus der Menge der Gestank nach Kot und Urin und dieser stechende Schweißgeruch auf, den Menschen absondern, wenn sie panische Angst haben. Offenbar können manche Leute den Druck einfach nicht aushalten, dachte ich. Aaah, dieser wundervolle Geruch der Angst! Der Gestank der Apokalypse! Man konnte spüren, wie die Saiten ihre Angst an den Haken nahmen und wie Karamell zu Fäden zogen, die dünner und dünner wurden und immer höher wuchsen, bis sie am Ende kristallisierten und in rückgratlose Panik zerbrachen.
    Ich war stolz auf mein Team. Während der letzten sechs Tage hatten die Leute hart gearbeitet. Ich hatte zwanzig Handwerker im Innenhof eines großen Hauses von Schreinern im nördlichen Aura-Viertel beinahe nonstop arbeiten lassen. Sie waren vom Gila-Haus abhängig und Koh gegenüber loyal, wirklich gute Leute. Trotzdem war es nicht einfach gewesen. Obwohl im ganzen Tal ein gedämpftes, leidenschaftsloses, jedoch reges Treiben geherrscht hatte – Vorbereitungen für das Fest, das auf die Sonnenfinsternis folgen würde –, hatten wir herumschleichen müssen. Wir bewegten uns nur bei Dunkelheit, weil man während des »Schweigens« keinen Geschäften nachgehen durfte. Jedes Mal mussten wir Trupps von niederen Schwalbenschwanzwächtern bestechen, um an ihnen vorbeizukommen. Sie dachten, wir schmuggelten Kopalharz, weil sie es an unseren Händen riechen konnten.
    Die verschiedenen Arten getrockneter Flaschenkürbisse auszuprobieren, auf Wildkatzendärme zu warten, die Hälse aus Zedernholz zu schnitzen, die Hornwirbel zu machen, festzustellen, dass Menschenhaare nach ein paar Strichen reißen, und herauszufinden, wie sie zu dünnen Schnüren gedreht werden und trotzdem an einem Bogen funktionieren konnten, fünfzig Sorten von Gummi zu versuchen, bis ein anständiger Ersatz für Kolophonium gefunden war, und dann alles nur zwei Tage vor dem D-Day zusammenzuleimen – das war definitiv das schwierigste Projekt, das ich seit langem bewältigt hatte, sogar schwieriger als die Einrichtung meines Aquariums für Chromidorus marislae .
    Einige der Männer spielten ziemlich geschickt Flöte. Alle waren sie eilfertig, eifrig bei der Sache, begierig, dem Rassler beim Zurückholen der Sonne zu helfen, und für Frau Koh zu jeder Schandtat bereit. Und während sie im Dunkeln sägten, lernten sie ziemlich schnell. Aber genauso wie wenn ich versucht hatte, Hun Xoc irgendwelche Musical-Melodien vorzusummen, fanden sie nicht gleich Zugang zu klassischer Musik. Es war, als könnten sie eine Melodie mit Phrase, Wiederholungen und Auflösung nicht richtig hören. Doch als sie die Harmonie einmal heraushatten, wollten sie gar nicht mehr aufhören zu spielen. Und als wir die fragliche Passage ausprobierten, die pyramidalen Tonleitern aus der Violinsonate Nr. 1, über die Prokofjew sagte, sie müsse klingen wie der Wind auf einem Friedhof, berührte sie jeden. Offenbar hatten die Götter des Spiels recht gehabt.
    Bis sie die Passage zehn Mal gespielt hatten, weinten die Kinder, und ihre hohen Stimmen mischten sich mit denen der Saiten. Die Menschenmengen auf den Plätzen bewegten sich, waren aber noch nicht auf den Beinen. Sie zappelten nur wie die

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