2012 – Das Ende aller Zeiten
konnte das Feuer nicht richtig entzünden, weil die Sonne kaum durch den Rauch drang, aber sie gaben vor, es trotzdem zu tun, durch einen Trick. Jemand zündete die große Fackel auf der Spitze der Hurrikan- mul an, und der Feuerläufer, ein trainierter Athlet in einem hinderlichen, aufgeplusterten Anzug aus talggetränkten Federn, hielt den Arm ins Feuer, ziemlich wie vorgesehen, drehte sich um und sprang wie geplant die Stufen hinab, und als ihn das Feuer ganz erfasste, rollte sein flammender Körper zwischen die Reihen der Puma-Geblüte. Die Geblüte schlugen und lenkten seinen Körper nach unten auf die Schnauze der großen mul , die sich aufeiner Höhe mit Hun Xoc und mir befand, durch einen Menschenstrom jedoch von uns abgeschnitten war, und dann die unteren Stufen hinunter und auf den Platz hinaus in die Freudenfeuer-Pagode, beinahe so, als wäre nichts verkehrt.
Aber die Pagode hatte schon Feuer gefangen. Jemand musste eine glühende Kohle hineingeworfen haben, vielleicht einer von Kohs Männern. Die Flammen stiegen schon auf, noch ehe der Feuerläufer die Schnauze erreicht hatte. Inzwischen achteten die Menschenmengen sowieso nicht mehr auf das mul -Ritual. Die Leute suchten am Himmel nach dem Rassler und versuchten zu fliehen oder zu kämpfen oder sich zu verstecken. Ich hörte die Kantoren der Puma-Synode oben beim Heiligtum durch ihre Alphörner rufen: »Hac ma’al, hac ma’al« – »die neue Sonne, die neue Sonne« –, doch die Stimmen hatten jenen Beiklang, der sich bei Leuten einschleicht, wenn sie wissen, dass sie ignoriert werden. Es war zu spät.
Die Bewegung der Menge war schon lebhafter, wie auf einer Geschäftsstraße kurz vor einem Gewitter, wenn alle nach einem Unterschlupf hasten, obwohl noch kein Regentropfen gefallen ist. Eine Woge gelb-grauen Rauchs fegte über uns hinweg. Das Geigenspiel war immer weniger Prokofjew und immer mehr wahlloses Gefiedel; dafür war es lauter als vorher. Man glaubt nicht, wie laut Streichinstrumente sein können, und hier steigerten sie sich zu einem globalen Geheul. Irgendwo hörte ich einen von Kohs Verbündeten einen Satz rufen, den sie einstudiert hatten: »A’ch dadacanob, a’ch dadacanob« – »Die Gelbjacken sind hier, die Gelbjacken sind hier!« Eine andere Stimme, die einer alten Dame, nahm den Ruf auf. Ich glaubte nicht, dass man sie als Agitator geschickt hatte. Aber die Leute schreien nun mal, was ihre Bosse schreien. Schon wurde der Satz von weiteren Konvertiten der Rasslergemeinschaft wiederholt; dann auch von Leuten, die unmöglich Rassler sein konnten. Die Stimmen waren rau, vielleicht von Tagen mangelnden Gebrauchs während des Schweigens, und der Gesang breitete sich mit einem Klang durch die Menge aus, wie ein Hagelsturm durch ein Kornfeld rauscht. Kohs Leute verliehen ihm Rhythmus wie Cheerleader und peitschten die Menge damit auf. Daneben kamen andere Sätze auf: »Die Sonne ist tot, wir sterben, wir sterben« und »Ak a’an, ak a’an« – »Das ist das Ende, das ist das Ende.« In die Sprechgesänge mischte sich Gelächter – hysterisches Gelächter, nehme ich an. Ein paar Musiker hatten zu trommeln und zu pfeifen angefangen, doch es klang halbherzig und ging in den Angstschreien unter, die von den Zócalos aufstiegen. Die Kakophonie von Geräuschemachern und Geschrei, mit der ich noch immer halb rechnete, blieb aus. Die Menschenmassen in den Höfen und auf den Dächern standen auf und wurden wütend. Unter uns tobte der überfüllte Marktplatz.
Die Mehrheit hatte keinen Zweifel, dass dies das Heer der Gelbjacken war – ob unsichtbar oder nicht –, das Koh vorhergesagt hatte und das jedem die Augen ausstechen sollte. Ich sah alte Frauen, Geblüte, Leute aus der Unterschicht und kleine Jungen zum Himmel zeigen und schreien: »Ha k’in, ha k’in« – »Der Rassler, der Rassler!«, und unwillkürlich blickte auch ich nach oben. Die Rauchfahnen kringelten sich und wogten, und ich wette, wenn ich ein bisschen länger hingeschaut hätte, wäre ich ebenfalls von der Halluzinationswelle erfasst worden und hätte in allen Einzelheiten gesehen, wie der Sternenrassler sich vom Himmel herabwand, forschend die Zunge vorstreckte, das Gefieder sträubte und mit den Giftzähnen heiligen Göttergeifer verspritzte.
»Ha k’in, ha k’in, ha k’in, ak a’an, ak a’an, ak a’an …«
Entsetzen durchfuhr die Menge. Es wirkte wie eine Art pheromonaler Imperativ: LAUFT ! IHR WERDET ALLE STERBEN !!!
Als die Massen
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