2012 – Das Ende aller Zeiten
die Stadt liefen, als wären wir im Auge eines Orkans auf der Sonne.
(62)
Ich ging oder vielmehr taumelte zu Koh. Sie hatte ihre Maske abgenommen und hiel sie in der dunklen Hand, während sie mit der hellen die Pinguinfrau streichelte, ihr durch die dünnen Zwergenhaare die Kopfhaut tätschelte und dann die Wange entlangstrich und den Körper mit den Fingerspitzen kraulte wie eine Katze. Die Zwergin reckte und streckte sich. Ich schätze, für jemanden aus dem 21. Jahrhundert konnte das herablassend wirken oder pervers. Aber vielleicht war diese Fummelei die einzige menschliche Zuwendung, die die Pinguinfrau bekam.
Die Zwergin glitt aus Kohs Armen und wackelte zurück zu ihrem Wärter. Koh stand auf und ging vier Schritte zum Rand der Terrasse. Sie blickte hinunter auf den Rauch und die Leichen in den Zócalos. Dann schaute sie auf, sah nach Norden und begegnete meinem Blick. Doch wir waren übereingekommen, dass sie mich im Beisein der Pumas nicht aus den anderen hervorheben sollte, und so wandte sie sich nach Süden dem Rassler-Gelände zu. Es war fast schon heruntergebrannt; der schwarze Rauch stieg nur noch in dünnen Fahnen zum braunen Himmel empor. Ich glaubte, einen seltsamen Ausdruck auf ihrem Gesicht zu sehen, selbst im Profil. Um die Mundwinkel zeichnete sich so etwas wie Zweifel ab. Wirbelnde Funken, die mehr wie goldenes Laub aussahen, und Tropfen flüssigen Stahls flogen hinter ihr auf. Kohs türkise Maske baumelte von ihrer dunklen Hand und starrte mich direkt an, sodass ich das Gefühl bekam, sie könnte mich durch die Augenlöcher sehen. Doch Koh bewegte den Kopf nicht. Er blieb, wie er war, das Kinn vom Feuer angestrahlt, den Blick über die Höfe der Sonne gerichtet wie ein riesiger Basaltkopf des Ozymandias in einer Wüste, glatt geschmirgelt von ewigen Sandstürmen. Irgendwo unter uns erfasste das Feuer ein Wasserreservoir, und eine gewaltigeDampfwolke stieg zischend in den Strudel auf. Kohs Blick folgte ihr und schweifte dann ohne Eile zu der schwelenden Symmetriegeraden zurück, die nun nicht mehr die Achse der Welt war. Sie erinnerte mich an ein Gemälde Helenas an Deck von Menelaos’ Schiff, wie sie auf das brennende Troja zurückschaut, oder vielleicht eher an die Garbo am Ende von Königin Christine . Oder an Marena, wie sie an der Dammstraße stand und auf den ölglänzenden Golf starrte. Oder vielleicht war es die Seidenspinne in der Mitte ihres Netzes. Plötzlich sah ich etwas unter ihrem dunklen Auge und erkannte, dass es Tränen waren, aber ich sagte mir, dass sie nur von dem Rauch kämen. Sie setzte die Maske wieder auf, band sie hinter dem Kopf mit einem Geblüt-Knoten fest und wandte sich ab.
VIER
DIE NACHKOMMENDEN
(63)
»Wer war der Sprecher von Micky Maus?«, fragte Marena.
»Augenblick mal«, sagte ich. Ich musste husten. Ich hustete.
»Möchtest du noch was Saft, Jed?«
»Nein, danke«, sagte ich, »mir geht’s prima. Äh … Walt persönlich war der Originalsprecher der Maus.«
»Richtig. Okay. Was ist die Quadratwurzel von fünf?«
Ich sagte es ihr.
»Was ist der Name deiner letzten … warte mal.« Sie unterbrach sich kurz. »Ana meldet sich, wir wollen zum Ende kommen«, sagte sie.
»Wir müssten mittlerweile genug haben«, sagte Dr. Lisuarte dicht hinter mir in dem engen Raum. Sie hielt inne. »Bleiben Sie dran. Nein, zuerst muss ich mit dem Team sprechen.« Offenbar sprach sie über ihren Kommunikator mit Ana. »Okay. Ende. BTP ? Hier Agaki, wir haben einen Drei-neun-acht von Keelorenz.« Ich brauchte eine ganze Weile, um mich zu erinnern, dass sie das Team Bewusstseinstransferprotokoll am Stake meinte, wenn sie » BTP « sagte, und dass »Agaki« Lisuartes Codename und »Keelorenz« der von Ana Vergara war. Was ein »Drei-neun-acht« bedeutete, wusste ich nicht. »Okay, verstanden«, fuhr sie fort. Pause. »Sie sagen, sie haben genug«, erklärte sie dann. Ich nahm an, dass der letzte Satz sich an Marena und mich richtete und Lisuarte damit meinte, dass das Team ausreichend Daten meiner Gedankenprozesse gesammelt hatte, um die Transmission zu beenden.
»Also stöpseln wir mich jetzt wieder ab?«, fragte ich erschöpft.
Sie bejahten. Lisuarte schaltete das »Klo« herunter, diesen großen weißen PET / MRI -Ring um meinen Kopf. Ich hörte, wie die Magneten sich an ihren Schienen rieben, während sie abbremsten. Das erste Morgenlicht fiel durch die Tür. Marena begann, mir die Elektrodenabzuziehen. Nun, das war’s. Welche Version von mir
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