2012- Die Rückkehr
»Sharon, ich bin’s. Probier’s bei allen Fluglinien. Ich will, dass du mit den Kindern morgen Nachmittag in Philly bist. Keine Diskussionen. Wahrscheinlich werdet ihr mindestens eine Woche bei deiner Mutter bleiben müssen.«
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22. November 2033
Hangar 13
Kennedy Space Center
Cape Canaveral, Florida
Dienstagnacht Manny folgt seinem Bruder durch einen japanischen Garten, der sich innerhalb des Gebäudes befindet. Er ist immer noch benommen von dem Beruhigungsmittel, das ihm der Arzt verabreicht hat. Der Mond scheint durch die Plexiglaskuppel des Atriums über ihren Köpfen und beleuchtet den Kieselsteinpfad und einen Bach, der unter einer kleinen Holzbrücke vor ihnen hindurchfließt.
»Alles in Ordnung?«, fragt Jacob.
»Nein. Was ist das hier?«
»Ich nenne es meinen Rückzugsort. Nur hier fühle ich mich wirklich sicher. Der gesamte Komplex ist gegenüber elektrostatischen Wellen abgeschirmt. Wir bezeichnen ihn als eine Ruhezone. Er schützt mich vor Lilith und anderen Hunahpu, die vielleicht da draußen sind.«
Vor ihnen erscheint jenseits der Brücke ein japanisches Haus, dessen tragende Teile aus Holzbalken bestehen.
»Du bist wirklich verrückt nach diesem asiatischen Kram, stimmt’s?«, fragt Immanuel.
»Das Konzept heißt wabi und sabi … einfache Ruhe, elegante Einfachheit. Ich finde das spirituell befreiend.«
Unmittelbar vor dem Eingang liegt mitten auf dem Pfad ein Stein von der Größe einer Grapefruit, der mit Hanf umwickelt ist. Jacob hebt ihn auf und zeigt ihn seinem Bruder. »Dieser gebundene Stein symbolisiert den Eingang in eine andere Welt. Jetzt betrittst du die meine.«
Immanuel folgt seinem Bruder über die Brücke zu dem offenen formellen Eingang.
»Siehst du, Manny, in traditionellen japanischen Häusern gibt es keine eindeutige Grenze zwischen Innen und Außen. Vielmehr existiert eine Art Übergang, der aus einem formellen Eingang, einer Veranda, einem Salon und einem Hof besteht, die auf verschiedene Weise voneinander abgeschirmt sind, wobei all diese Vorrichtungen dazu dienen, die Natur ins Haus zu holen, während sie die Bewohner gleichzeitig vor den Elementen schützen.« Jacob bleibt an der erhöhten Veranda stehen und zieht seine Schuhe aus. »Bitte.«
Immanuel schleudert seine Turnschuhe von den Füßen. Er kommt sich lächerlich vor.
Es gibt keine Türen oder Wände, nur einen offenen Holzladen. Die Böden des Hauses bestehen aus poliertem Bambus und sind hier und da mit Tatami-Matten bedeckt. Eine kleine Nische führt in einen hohen Salon, in dessen Mitte vier bequeme Ledersessel einen steinernen Couchtisch umgeben. Die Küche ist makellos; die neuesten technischen Einrichtungen verbergen sich diskret hinter einer Küchentheke aus Holz. Das Esszimmer liegt eine Stufe tiefer; dessen Boden ist mit einer violetten Tatami bedeckt, die Bambusbänke sind in der gleichen Farbe gepolstert. Die Wände bestehen ausschließlich aus shoji , gerahmten
Papierschiebetüren. Durch eine offen stehende Schiebetür sieht Immanuel einen weiteren japanischen Garten. Er hört das beruhigende Plätschern von Wasser - den Bach, der unter den Bodenbrettern hindurchfließt und den Innenhof des Hauses teilt.
»Hast du Hunger?«, fragt Jacob.
»Ich bin einfach nur müde.«
»Zum Gästezimmer geht es da entlang.« Jacob schiebt eine shoji zur Seite, wodurch ein kleiner Raum sichtbar wird, in dessen Mitte sich ein Tatami-Bett befindet. »Du solltest besser ein wenig schlafen. Morgen wird ein langer Tag.«
»Jake, was hast du gemeint, als du sagtest, ich sei das Yin zu deinem Yang?«
»Yin und Yang sind die beiden fundamentalen Kräfte, die das Tao bilden - eine ursprüngliche, geheimnisvolle Energie, die man einfach mit ›Der Weg‹ oder ›Das Eine‹ übersetzt. Aus dem Einen kommen ›Die Beiden‹ - Yin und Yang, zwei mächtige gegensätzliche Kräfte, vergleichbar dem positiven und dem negativen Pol eines elektrischen Feldes. Keine von beiden ist absolut dominant, beide befinden sich in einem ständig wechselnden dynamischen Prozess von Anziehung und Abstoßung, einerseits anregend und dann auch wieder beruhigend.
Eine Beschreibung lautet: Alle Dinge entstehen aus dem Tao, gebildet aus Materie, geformt von ihrer Umgebung. Nimm zum Beispiel dieses Haus. Du bist das Yin, das Haus selbst und die Erde, auf der es steht. Beide sind aus Materie gebildet. Umgeben wird das Haus von Energie - dem Yang -, die ständig in Bewegung ist und die Grenzen von Raum und Zeit entfaltet.
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