2012- Die Rückkehr
Florida
V erstehen Sie mich nicht falsch, Reverend Morehead, Ihre Enkelin ist ein bemerkenswert begabtes Kind …« »Das mir vom Amt zugeteilte Mädchen«, korrigiert der Priester.
»Ja, natürlich.« Die Schulberaterin merkt sich diesen Punkt. »Die Tests zeigen, dass Lilith das intelligenteste Kind in ihrer Klasse ist, vielleicht sogar in der ganzen Schule.«
»Warum bekommt sie dann nie bessere Noten als eine Drei oder eine Vier?«
»Meiner Meinung nach liegt es an ihrer fehlenden Selbstachtung. Am zweiten Schultag hat sie sich fast eine Stunde lang in der Toilette eingeschlossen, nachdem eine Lehrerin sie wegen Schwätzens angeschrien hat.«
»Ja, sie redet ständig. Bla bla bla bla bla.«
»Liliths Lehrerin hat einige blaue Flecke und Striemen an der Rückseite ihrer Beine bemerkt. Wissen Sie, woher die kommen?«
»Wie sollte ich? Sie wissen doch selbst, wie Kinder so sind. Ständig fallen sie von Bäumen und klettern über Zäune. Äh … was hat Lilith denn dazu gesagt?«
»Sie sagte, Chester habe sie getreten.«
»Chester? Wer ist das denn?«
»Das wissen wir nicht. Es gibt keinen Jungen namens Chester an unserer Schule. Aber Mrs. Walker hat beobachtet, wie Lilith während der Pausen mit einer Freundin namens Brandy spricht, die nur in ihrer Fantasie existiert.«
Quenton knirscht mit den Zähnen.
»Sie wirken nicht überrascht?«
»Die Mutter des Mädchens litt unter ähnlichen … Wahnvorstellungen. Überlassen Sie das mir. Ich werde mich darum kümmern.«
»Reverend, wenn es sich hierbei um eine Form von Geisteskrankheit handelt, dann sollte sich ein Fachmann Lilith ansehen.«
»Glauben Sie mir, Ma’am, was das angeht, bin ich ein Fachmann.«
Longboat Key, Florida
Immanuel Gabriel starrt so intensiv auf den Computerbildschirm seines Bruders, dass die Reihen hebräischer Buchstaben vor seinen Augen verschwimmen. »Ich kann immer noch keine Muster erkennen.«
»Aber sie sind da«, sagt Jacob in selbstgefälligem Ton. »Ich wette, es gibt in der Bibel eine Million verschlüsselte Warnungen. Verweise auf die Dinosaurier und das Ende gewisser Tierarten, auf Martin Luther King und die Kennedys, auf die Kriege im Nahen Osten und das World Trade Center, den Ebola-Ausbruch im Jahr 2008 …«
»Sei still.« Der dunkelhaarige Zwilling hält sich die Ohren zu. »Ich hab dir doch gesagt, dass mir das egal ist.«
»Es sollte dir aber nicht egal sein. Ich bin auch auf unsere Namen gestoßen.« Jacob blättert weiter zu einer Seite, auf der eine Reihe von Buchstaben wie in einem Kreuzworträtsel hervorgehoben sind. »Waagerecht ergeben die Buchstaben Gabriel Zwillinge . Und siehst du diese Buchstaben, die sich damit senkrecht überschneiden? Sie bedeuten Zeit Tunnel .«
»Zeittunnel?«
»Das ist das biblische Wort für Wurmloch . So werden wir nach Xibalba kommen.«
Immanuel schüttelt den Kopf. »Ich werde nicht nach Xibalba gehen.«
»Doch, das wirst du.«
»Nein, das werde ich nicht.«
»Es ist unsere Bestimmung, Manny.« Seine Augen werden größer. »Es liegt in unserem Blut … das Ende aller Tage!«
»In deinem Freak-Blut vielleicht, in meinem nicht.«
»Das Hunahpu-Gen ist auch in deinem Blut, selbst wenn du nur Müll im Kopf hast. Ich kann das sogar beweisen, denn ich habe einen Ort entdeckt - einen Ort in meinem Geist -, wo alles ganz langsam wird. Es ist wie eine höhere Dimension.«
»Halt die Klappe.«
»Das ist mein Ernst. Unsere Hunahpu-DNA verleiht uns besondere Fähigkeiten. Wenn wir unsere Gedanken ganz nach innen richten, können wir zu diesem höheren Reich tatsächlich Kontakt aufnehmen.«
»Das erfindest du doch bloß.«
»Absolut nicht.«
Immanuel hat Angst, aber er ist auch neugierig. »Okay. Sag mir, wie es ist.«
»Es war unheimlich, aber echt cool. Alles um mich herum wurde irgendwie langsamer. Doch in meinem Kopf kam
es mir so vor … ich weiß nicht … als ob ich eine größere Kontrolle gewonnen hätte. Ich konnte verschiedene Dinge tun, in alle Richtungen gleichzeitig sehen, meinen Körper auf verschiedene Arten beherrschen. Ich konnte meinen Herzschlag verlangsamen und sogar den Blutzellen folgen, die sich durch meine Adern bewegten. Es war, als hätte ich ein zusätzliches Sinnesorgan, mit dem ich in mich hineinsehen konnte. Der entscheidende Punkt ist allerdings, dass ich an diesem Ort nicht allzu lange bleiben kann, denn in den Muskeln sammelt sich dabei jede Menge Milchsäure an. Ich glaube, das liegt daran, dass sich der Geist im Nexus
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