2012 - Schatten der Verdammnis
fummelt an seiner Weste und betätigt den Griff. Die Weste bläst sich auf.
Die Abwärtsbewegung wird langsamer, ohne aufzuhören.
Plötzlich reißt eine unfassbar starke Strömung ihn seitwärts, als werde er in großer Höhe aus einem Flugzeug gesogen. Während es ihn herumwirbelt, reißt ihm der Sog fast Atemregler und Taucherrnaske vom Kopf. Er beißt fest zu, hält die Maske fest und kämpft gegen den erbarmungslosen Strudel an. Vergeblich.
Im Abgrund öffnet sich das Meer. Simpson starrt hundert Stockwerke tief in das lodernde grüne Auge des Strudels, dessen Zentrifugalkraft ihn an die Innenwand des kreisenden, immer größer werdenden Trichters presst.
Von Todesangst gepackt, spürt Simpson sein wild schlagendes Herz. Der Klammergriff um seinen Körper nimmt zu und reißt an den Gurten, die noch verhindern, dass ihm die Pressluftflasche von der Weste gerissen
wird. Entsetzt schließt er die Augen, während der Strudel ihn mit Schwindel erregender Geschwindigkeit an seiner Innenwand entlang kreisen lässt und dabei immer tiefer in seine Mündung saugt.
Es ist vorbei. Mein Gott, so hilf mir doch...
Das Glas seiner Tauchermaske zerspringt und ein entsetzlicher Druck umklammert sein Gesicht. Blut strömt ihm aus den Nasenlöchern. Er würgt, dann presst er mit aller Kraft die Augen zu und schreit in sein Atemgerät, während die Augäpfel vom Sehnerv weggesaugt werden und aus ihren Höhlen quellen.
Rex Simpsons letzter Schrei verstummt, als sein Gehirn im p lodiert.
Die furchtbare Zentrifugalkraft des Trichters presst den Rumpf der Manatee an die steile, kreisende Wand. Bei jeder Umdrehung des Bootes werden Teile von ihm weggerissen. Carl Reuben ist bewusstlos; sein Körper drückt die Beine von Iz Axler an den Fiberglasaufbau des Hecks.
Iz packt mit beiden Händen die Reling. Der Strudel dröhnt ihm in den Ohren, die unheimliche Geschwindigkeit macht ihn ebenfalls fast bewusstlos.
Er zwingt sich, die Augen zu öffnen und zur Quelle des grünen Lichts hinabzublicken. In wenigen Minuten erwartet ihn der Tod, ein Gedanke, der ihn irgendwie gleichermaßen tröstet und erschreckt.
Plötzlich schwächt sich das strahlende Leuchten ab. Iz reckt den Hals und beugt sich gefährlich weit über die Reling. Aus einem gewaltigen Loch im Meeresboden sieht er eine gurgelnde, teerartige Substanz quellen. Die schwarze Masse rülpst - Iz nimmt einen schwefligen, fauligen Gestank wahr -, dann überdeckt sie vollkommen das smaragdgrüne Licht, während sie an den Wänden des Trichters emporsteigt und das strudelnde Meer verdunkelt.
Iz schließt die Augen und zwingt sich, an Edith und Dominique zu denken, während der wahnsinnige Strudel die Manatee in seinen kreisenden Schlund saugt.
Gott, lass es rasch vorübergehen.
Carl Reuben hebt benommen den Arm und fasst Iz Axler an der Hand, während der schwarze Schlick immer näher kommt.
Das Boot trifft auf die dicke, teerige Substanz. Es kippt um und wirft Axler und Reuben kopfüber in den Rachen des pechschwarzen Mahlstroms.
12
23. November 2012 Strand von Progreso, Halbinsel Yukatan
6.45 Uhr Bill Godwin küsst seine schlafende Frau auf die Wange, greift nach seinem Mikrodisc-Player und schleicht sich lautlos aus dem im ersten Stock gelegenen Zimmer des Holiday Inn.
Wieder ein wunderschöner Morgen.
Godwin steigt die Betontreppe zum Pool hinab, dann verlässt er den eingezäunten Hotelbereich und überquert die Straße, um zum Strand zu gelangen. Er blinzelt ins Morgenlicht. Vor ihm breitet sich meilenweit ein unberührter weißer Sandstrand aus, gerahmt von kristallklarem blauem Wasser.
Herrlich...
Als er die Brandung erreicht, zeigen sich erste golden leuchtende Flecken über einer Wolkenbank am östlichen Horizont. Ein mexikanisches Mädchen rast auf einem rot-weißen Jetski im Zickzack durchs glatte Wasser des Golfs von Mexiko. Bill bewundert ihre Figur, während er sich dehnt und reckt, dann rückt er seinen Kopfhörer zurecht und läuft in gemütlichem Tempo los.
Der sechsundvierzigjährige Marketingfachmann bei
Waterford-Leeman geht dreimal pro Woche joggen, seit er sich vor sechs Jahren von seinem zweiten Herzinfarkt erholt hat. Er meint, seine >Morgenmeile<, wie seine Frau es nennt, habe ihm zehn Lebensjahre geschenkt. Außerdem hilft sie ihm, zum ersten Mal seit seiner Studienzeit das Gewicht unter Kontrolle zu halten.
Godwin überholt einen anderen Jogger und nickt ihm zu, während er kurz neben ihm her läuft. Was seinen Blutdruck betrifft, hat
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