2012 - Schatten der Verdammnis
anschauen, was da drunten los ist.«
»Das ist zu gefährlich. Vielleicht gibt’s da irgendeine Strahlung.«
»Dann bin ich in meinem Anzug wahrscheinlich besser dran als ihr da oben.« Simpson befestigt die Riemen der Tarierweste, an der die Pressluftflasche befestigt ist, überprüft seinen Lungenautomaten und schlüpft in
seine Flossen. »Carl, meine Unterwasserkamera liegt da vor deinen Füßen.«
Reuben wirft sie ihm zu.
»Rex...«
»Iz, Schatzsuche ist mein Hobby. Ich mach nur schnell ein paar Bilder und bin in fünf Minuten wieder da.«
Hilflos sehen Simpsons Freunde zu, wie er sich über Bord fallen lässt.
»Carl, nimm ein Ruder. Wir bringen das Boot hier weg.«
Das Meer ist so durchsichtig, dass Rex Simpson das Gefühl hat, auf die Unterwasserscheinwerfer eines tiefen Schwimmbeckens zuzusteuern. Zwei Meter unter dem Rumpf des Bootes lässt er sich treiben und spürt eine große Ruhe. Sein Körper und die aus seinem Atemregler perlenden Luftbläschen sind in das weiche smaragdgrüne Leuchten gebadet.
Eine Bewegung über seinem Kopf lässt ihn aufblicken. Mein Gott...
Simpson muss zweimal blinzeln, dann starrt er ungläubig auf die groteske Kreatur, die sich längs an den Kiel der Manatee geheftet hat. Von dem raupenähnlichen Leib, der aus einer ekligen Gallertmasse zu bestehen scheint, gehen zehn Meter lange, geschmeidige Tentakel aus. Nicht weniger als hundert glockenförmige Magenausbuchtungen durchziehen die cremefarbene Unterseite. Jede Verdauungsöffnung besitzt ein grässliches Maul und giftig aussehende fingerähnliche Auswüchse.
Unglaublich. Simpson hat noch nie ein lebendes Exemplar dieser Spezies gesehen, doch er weiß, das es sich um Apolemia handelt, eine Staatsquallenart. Diese bizarren Lebewesen, die fünfundzwanzig bis dreißig Meter lang werden können, halten sich ausschließlich in tieferen Wasserschichten auf und werden deshalb nur selten beobachtet.
Das Licht muss die Qualle an die Oberfläche gescheucht haben.
Er macht mehrere Fotos, wobei er sicheren Abstand zu den giftigen Tentakeln des Wesens hält, dann lässt er Luft aus seiner Weste, um tiefer zu gelangen.
Das surreale Licht verschafft ihm das seltsame Gefühl, in Zeitlupe hinabzufallen. In achtzehn Metern Tiefe schlägt Simpson ein paarmal mit den Beinen, um seine Abwärtsbewegung zu verlangsamen. In seinen Ohren hat sich Druck aufgebaut. Als er sich in die Nase kneift, um ihn auszugleichen, stellt er überrascht fest, dass der Schmerz stärker wird. Er blickt nach unten und bemerkt, dass etwas aus dem leuchtenden Nichts zu ihm emporsteigt.
Simpson lächelt und breitet die Arme aus, als Tausende gewaltiger Luftblasen ihn umstrudeln.
Die Schmerzen in den Nebenhöhlen bringen ihn wieder zu Bewusstsein. Ein tiefes, dumpfes Dröhnen hallt ihm in den Ohren, lässt seine Tauchermaske vibrieren und kitzelt seine Nase.
Rex Simpsons Lächeln erstirbt, als er ein flaues Gefühl in der Magengrube wahrnimmt. Es erinnert ihn an das, was man spürt, wenn man am höchsten Punkt einer riesigen Achterbahn angelangt ist, kurz bevor sich die Wagen in die Tiefe stürzen. Das Dröhnen wird lauter.
Ein Unterwasserbeben!
Sechshundert Meter unter ihm bricht ein gewaltiges Stück des Kalksteinbodens in sich zusammen. Eine tunnelähnliche Öffnung klafft auf. Das Meerwasser beginnt zu kreisen, während es in das immer größer werdende Loch gesogen wird. Die Strömung zieht alles in ihren abgrundtiefen Strudel.
Das smaragdgrüne Licht wird so stark, dass Rex Simpson geblendet die Augen schließt.
Iz und Reuben haben es geschafft, die Manatee an den Rand der leuchtenden Wasserfläche zu paddeln, als eine
unsichtbare Kraft das Heck zu packen scheint und das Fischerboot rückwärts zieht. Als sich die beiden Männer umdrehen sehen sie voll Schrecken, dass sich im Meer ein großer, gegen den Uhrzeigersinn kreisender Wirbel gebildet hat.
»Das ist ein Strudel! Paddel schneller!«
Innerhalb weniger Sekunden hat die Strömung das Boot ergriffen und zieht es rückwärts am äußeren Rand des Mahlstroms entlang.
Der gewaltige Sog hat den Körper von Rex Simpson mit entsetzlicher Kraft ergriffen und zieht ihn in die Tiefe. Simpson strampelt mit den Beinen, während der Druck in seinen Ohren sich verstärkt. Mit einer Hand versucht er seinen Bleigürtel zu lösen, mit der anderen greift er nach dem vibrierenden Gummischlauch hinter seinem Kopf.
Der Gürtel rutscht von seinen Hüften und verschwindet im hellen Licht. Rex
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