2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Fußgelenken und eine gesteppte Polsterung trug. Ich trieb das Messer tiefer in seinen Körper, drückte vier Finger in die Wunde, tastete mich unter seinen Schwertfortsatz und stach durch das Zwerchfell in seine warme Herzbeutelhöhle. Ich war in der falschen Stellung, um bis zu seinem Herz vorzudringen, aber ich fand den unteren Lappen seines linken Lungenflügels und packte ihn. Er fühlte sich an wie ein feuchter Schwamm. Ich riss daran, und das Gewebe zerfiel zu Brei und kollabierte. Der Mann zuckte am ganzen Körper, und ich konnte mich endlich von ihm lösen. Ich keuchte, als mein Hals nicht mehr eingeklemmt wurde, und ein Krocketball aus Wasser strömte mir die Kehle hinunter. Das war sogar halbwegs angenehm, weil ich brennenden Durst gehabt hatte, aber noch mehr Wasser drängte in meine Lunge, und Panik erfasste mich.
Ich zog den Beutel mit dem Erdsternpulver aus meinem Schritt und mühte mich mit den Knoten ab. Mit meinen zerschnittenen Händen bekam ich sie nicht auf. Aber in meinem rechten Mittelhandknochen steckte noch immer einiges von der Obsidianscherbe, und damit stach ich in den kleinen Beutel, riss ein Loch hinein und drehte ihn durch das Loch auf links. Schlieren aus betäubendem Tod verloren sich im Wasser. Es gelang mir sogar, die Schnüre durchzuschneiden und den Beutel nach unten sinken zu lassen, obwohl ich mich nicht bewusst erinnern konnte, dass er mit Kieseln beschwert war.
Und das war es dann im Grunde für längere Zeit. Ich erinnere mich nicht daran, nass gewesen zu sein, aber unter Wasser fühlt man sich auch nicht nass. Ich erinnere mich, auf einen Kreis aus schwachem Himmelblau unter mir geblickt zu haben, die Öffnung des Brunnens – obwohl sie eigentlich über mir war –, und ich überlegte, ob ich den Rest der kohlendioxidgesättigten Luft aus meiner Lunge herauslassen und auf die denkbar angenehmste Art sterben wollte, im Zentrum einer jadegrünen Kugel in den Händen der Brunnengötter, auf die Resonanz des Wassers lauschend, duum, wuum, duum, schruum, fluum, muum, buum, twruuuwmb, twuuuuummmmmmm.
ZWEITER TEIL
DER GESCHMACK VON SCHREIEN
Ich kann mich nicht erinnern, gepackt worden zu sein, aber irgendwann schien mein tauber nasser Kopf in einer Luft, die sich wie trockene Hitze anfühlte, auf Mul-Größe anzuschwellen. Schnapp Luft. Nase zu. Zieh’s hoch … nein, da ist was Hartes. Spuck es aus. Spuck’s schon aus, weg damit!!! Dann das Gefühl, mich selbst zu verschlingen, so wie eine Libelle, der man ihr eigenes Hinterteil vors Maul hält, daran frisst, bis sie stirbt. Irgendwann begriff ich, dass mir jemand meine linke Hand in den Mund gestopft hatte und die darinsteckenden Feuersteinsplitter mir die Oberlippe zerschnitten. Ich schnaubte kräftig durch die Nase, bekam ein Nasenloch frei und konnte atmen.
Ich glaube, darauf folgte eine längere Phase, an die ich gar keine Erinnerung habe. In gewisser Weise ist das traurig, weil der Augenblick der Gefangennahme zu den wichtigsten Momenten im Leben gehört; er ist ein Sakrament. Aber ich erinnere mich weder, die Ansprachen meiner Häscher gehört zu haben, noch dass ich irgendeines dieser kleinen Gedichte der Unterwerfung aufgesagt hätte – ich erinnere mich an gar nichts. Ich weiß aber noch, dass ich zeremonielle Fesseln getragen habe, ähnlich denen auf der Mul, und ich erinnere mich an völlige Finsternis, in der ich von stinkenden Leichen umgeben war. Sie rochen, als wären sie enthauptet worden, oder vielleicht ausgeweidet, wobei sie ausbluten, sodass sie nicht ganz so schlimm stinken wie Menschen, die an Krankheiten sterben. In Träumen riecht man aber normalerweise gar nichts. Hieß das, ich war wach? Meine geschwollene Zunge fuhr über geronnenes Blut an den Innenseiten meiner Wangen. Mein Bein fühlte sich kalt und dick an, aber als ich mich in meinen Fesseln endlich so weit verdreht hatte, dass ich danach tasten konnte, schien es nicht da zu sein. An seiner Stelle befand sich irgendetwas Fleischiges, behauptete meine Hand, aber es warvöllig taub, so als berührte man das Bein eines Fremden, und es wirkte aufgedunsen, als litte ich unter Elefantiasis. Ich erinnere mich, dass ich vor, nach oder während dieser dunklen Periode von Menschen umstanden war und angestoßen wurde. Ich streckte die Hände aus und ertastete ihre Pelzleggings. Sie bestanden aus dem Fell von Ozelotjungen, und nur 9-Reißzahn-Kolibris Leibgarde durfte sie tragen. Was ist denn jetzt mit dem Erdsternstaub?, fragte ich mich
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