2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
die Neugier kleiner Kinder niedlich, und trotzdem hat sie ihre grausame Seite. Ich bin nicht stolz darauf, dass es mich in Bann schlug, aber so ein Anblick übt einen Reiz aus, der für Angehörige des Volkes der Fünften Sonne, also Bürger des 21. Jahrhunderts, nur schwer zu verstehen ist. Man muss sich eben dieses Stadium vor Augen halten, das Kinder durchmachen. Ich glaube, normalerweise ist es das Alter zwischen neun und vierzehn Jahren, wenigstens im industrialisierten spätkapitalistischen Westen, oder wie immer man es nennen möchte. Jedenfalls, irgendwann in diesem Alter sind die meisten Kinder – besonders die Jungen – von ekligen Dingen besessen, darunter auch theoretische, wenn nicht sogar echte Folterinstrumente. Angeblich sind ihnen dann die Spielzeuge am liebsten, die ihre Eltern am meisten abstoßen. Und bei uns war von dieser Besessenheit noch einiges übrig. Mit »uns« meine ich die herrschende Klasse der Maya. Kultivierte Menschen des 21. Jahrhunderts hätten es als präpubertären Humorabgetan, aber wir betrachteten es als tragikomische Religionstheaterkunst.
Mach schon, denk nach, dachte ich. Vielleicht ist das für eine ganze Weile deine letzte Gelegenheit zum Nachdenken. Komm schon. Ganz systematisch. Ich hatte große Schwierigkeiten, alles auf die Reihe zu bekommen. Der Gedanke, Koh könnte mich im Stich gelassen haben, machte mir nach wie vor mehr zu schaffen als die Aussicht, die nächsten zwanzig Jahre in unaufhörlichen, unbeschreiblichen Qualen zu verbringen.
Okay. 2 JS hatte nie beabsichtigt, seine Vereinbarung mit Koh einzuhalten. Wenn er eins nicht brauchen konnte, dann eine Rivalin in Ix. Sobald er in der Stadt Fuß gefasst hatte, musste er Frieden mit den Ozelots schließen, mit den Pumas, mit sämtlichen anderen Katzensippen, mit allen eben. Stimmt’s? Stimmt.
Sie brachten Hun Xoc herein. Er war ein wenig herumgeschubst, aber nicht ernsthaft verletzt worden. Die Ozelots hatten wahrscheinlich zwei oder drei Geblüte geopfert, damit sie ihn lebend fangen konnten. Nun wurde er links vor mir auf einem vorgefertigten Blutgerüst in der Guter-Dieb-Position festgebunden. Ich sah ihn an und sagte mit meinem Blick: Tut mir leid, ich hab’s versaut, und er erwiderte durch seine Miene: Nein, nein, ich hab’s vermasselt. Davon abgesehen wirkte er einfach nur verwirrt. Warum tat ihm sein Vater so etwas an? Hatte er nicht gut genug gespielt?
Einer der Necker fuhr Gürteltierschiss mit einem Distelstiel über das Gesicht, nur zum Aufwärmen. Gürteltierschiss atmete bereits schnell und flach, und es wurde schlimmer. Ich fragte mich, wie seine Haut sich anfühlte. Löschkalk ist ätzend. Ein anderer Necker schlang einen Riemen um Hun Xocs linken Ellbogen und drehte ihn mit einem Stecken enger und enger.
Verdammt, dachte ich. Ich hab’s versaut. Ich hatte es fast geschafft und dann doch noch versagt. Versagt, vertagt, verratzt.
Vielleicht war es okay, wenn 2 JS statt mir zurück in die Zukunft ging. Aber das war es eben nicht . Wenn er zurückging, würde er irgendetwas Mieses anstellen. Dieser Kerl hatte etwas grundlegend Verdorbenes. Vielleicht hatte ich einen schlechten Einfluss auf ihn,aber wahrscheinlich war er von jeher ein fieser Hund gewesen. Ich weiß es nicht.
Ich war mir nur ziemlich sicher, dass er nicht das Richtige tun würde.
2-Juwelenbesetzter-Schädels Diener legten ein Kissen aus Ozelotpelz hinter ihn, und er ließ sich darauf nieder. Er knabberte an einer Honigtortilla und beobachtete uns, als wären wir eine Fernsehsendung. Er versuchte, sich ganz ungezwungen zu geben. Das klappte aber nicht. Er machte sich erkennbar Gedanken, ob irgendwas im Busche ist.
»Ti ku ti bin xot u cal tumen« , sagte 2 JS zu Hun Xoc. »Du (Minderwertiger) hast in unser Haus geschissen.« Plötzlich hatte er wieder auf den Hofdialekt des Ch’olan umgeschaltet.
Er ist nicht ich, dachte ich. 2 JS ist nicht ich.
Ich war mir nun ziemlich sicher. Ich kontrollierte 2 JS nicht, oder genauer, die andere Kopie von Jed 1 kontrollierte ihn nicht. Er kontrollierte sich selbst. Ich dachte das nicht, weil er so ein Bastard war und ich so ein netter Kerl. Es kam daher, dass ich alles ein wenig anders gehandhabt hatte. Vielleicht sogar schlimmer, aber anders. Es ist schwer zu erklären. Irgendwie merkte man, dass dieser Kerl noch immer wie ein Maya-Ahau dachte, und nicht wie ich, das verkorkste arme Wurm.
»Bitte opfere mich, mein Vater«, sagte Hun Xoc.
Sein Arm war angeschwollen wie ein
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