2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
mal ein ernstes Wort über diesen Scheiß hier reden, dachte ich. Das ist nicht komisch. Das macht mich fertig. Noch zwei so brillante Augenblicke, und ich bin der einzige weißhaarige Aborigine zwischen hier und Island. Wahrscheinlich prüft sie mich nur, um zu sehen, wie cool ich sein kann. Na, die Eingangstests sind vorbei, Schätzchen. Ich bin cool genug gewesen.
Ich hob den Kopf und legte ihn auf einen Arm, auch wenn hier niemand je diese Haltung einzunehmen schien. Wieder war eine vierköpfige Rasslertruppe mit einem menschengroßen Tablett hereingekrochen. Darauf lag eine lebensgroße Figur von mir aus Maispaste, sehr hübsch gefertigt, komplett in die gleichen Zeremonienklamotten mit dem gleichen Zierrat und dem gleichen ganzen anderen Schrott gekleidet. Ich schaute Koh zu, wie sie die Figur auszog und in die rechte Hand und das Puppengesicht aus Maisbrot biss. Gott sei Dank gab es wenigstens kein falsches Blut oder so etwas. Sie drückte den Finger in die Brusthöhle, legte hinein, was von dem Herz-Brotlaib übrig war, goss B’alche’ in die offene Wunde und schickte das Ganze an den Banketttisch der Seidenweberinnen. Haut rein, Mädels, dachte ich. Nehmt euch, futtert, kotzt, mir egal.
Wieder sah ich zu Koh hinüber, doch sie überwachte gerade die dämliche rituelle Waschung ihrer Geschlechtsteile. Ich setzte mich, schaute zu und atmete schwer. Sie hatten mich trockengewischt und begannen mich anzukleiden. Jetzt bekam ich wieder Männersachen. Koh ließ sich von ihrer Crew in einen schlichten weißen Huipil einnähen – so etwas durften nur die allergrößten Tiere tragen – undkniete vor den Steinen des Herdfeuers nieder. Sie öffnete einen Krug mit Wasser und einen mit Blauem Mais, der in Kalkwasser gequollen war. Auch dir einen guten Morgen, dachte ich. Na, das hat ja Spaß gemacht, wie wär’s jetzt mit Brunch?
Ich saß geduldig an meinem Platz und ließ mich bearbeiten wie ein Schauspieler, der für die Rolle des Monsters kostümiert wird. Ich lauschte auf das Krik, krik, krik der Mahlsteine. Dieses Geräusch ist unvergleichlich, dachte ich. Dass Koh symbolisch Tortillas machen musste, erschien mir ein bisschen herabwürdigend. He, Schatz, bekomm bloß keine Spülhände. Lass mal, ich übernehm das schon. Ich bin ein moderner Mann. Na ja. Wahrscheinlich war es das letzte Mal, dass sie irgendetwas selber tun würde. Sie müsste nicht für den Rest ihres Lebens sechs Stunden täglich damit verbringen wie die übrigen Mädels in dieser Hemisphäre.
Achthundert Schläge später kamen wir als die vereinten Oberhäupter unserer vereinten Sippen gekleidet aus dem Haus. Wir hörten eine Menschenmenge vor dem Tor, vornehmlich Kinder und Festgäste der abhängigen Sippen – sie kamen in dieser Zeit einem Mittelstand am nächsten –, die sich mit den Überresten des Hochzeitsmahls durchfüttern ließen. Sie kicherten und alberten herum, waren aber schon ein wenig beeindruckt, die Halbinsel betreten zu dürfen. Die meiste Zeit war der gesamte heilige Bezirk ihnen streng verboten, aber heute hieß er die Menschen willkommen.
Wir sammelten uns im Hof, Koh und ich in der Mitte der Hochzeitsgesellschaft, umgeben von Rassler-Gardisten mit großen Rundschilden aus schillernden blaugrünen Trogon-Federn. Die Dienerschaft räumte das Essen ab und schichtete alles zur Verbrennung auf. Aus der Ferne hörte ich ein unverwechselbares Brüllen. Durch die Menge drang das ixianische Friedenslied heran. Ein Nonett von Ozelot-Musikern, das aus Richtung des Großen Zócalos heranzog, spielte es auf langen Hörnern aus Buchsbaumholz.
Zur Linken durchschritt das Tor. Mit ihm kamen zwei Träger, die die Orakelkiste trugen. Sie maß eine Armspanne im Geviert und war perlweiß, geflochten aus den gestreiften Kielen von Reiherfedern. Die Person darin war angeblich hundertsechzig Jahre alt.
Wir hörten, wie die Gardisten ihm einen Weg durch das Zentrum der Menge bahnten. Der Hörnerklang schloss nun das Mattenhaus vollkommen ein. Es war ein Getöse, das die Gipswände zittern ließ. Ich stellte mir vor, wie die Menge sich zurückzog und ihre Gesten des Erde-Essens vollführte, während die Ozelot-Prozession voranschritt.
Unsere Kapelle spielte unsere Eingangsmelodie. Der Kantor hielt seine kleine Begrüßungsansprache. Dann wich der Wall aus Gardisten zurück, sodass wir plötzlich für alle sichtbar waren, als wollten wir sagen: Mischen wir uns unters gemeine Volk.
Na’at ba’al , rief der Kantor, und seine
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