2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Gelenke ausgekugelt wurden. Vielleicht wünschten Kohs Leute, dass er schrie, aber das wäre keine wirklich gute Idee gewesen. Auf jeden Fall bestand darauf nur eine geringe Chance, weil er ein volles Geblüt war. Bestenfalls konnte man ein paar unbewusste Worte im Augenblick des Todes erwarten.
Der Nacom reinigte 18-Sprungs Gesicht und Brust. Ich trat vor, ließ mir vom Nacom Rauch über meine Hellebarde blasen und setzte die mittlere Hakenklinge an 18-Sprungs Hals an.
Bisher hatte ich, das haben Sie wahrscheinlich bemerkt, noch niemanden selbst getötet. Im Allgemeinen hütete man sich davor, dem Atem des Todes so nahe zu kommen, und ließ es von professionellen geheiligten Kastenlosen übernehmen. Man wollte nur, dass der Empfänger – in diesem Fall eben Ozelot – einem die Opferung anrechnete. Das ist so ähnlich wie bei einer Party: Man will sie zwar schmeißen, aber man möchte trotzdem nicht alles selbst kochen und jeden einzelnen Gast persönlich von Hand damit füttern. In diesem Fall wurde allerdings von mir erwartet, dass ich ein paar Kleinigkeiten selber erledigte, auch wenn ich den Gnadenstoß am Ende vom Nacom ausführen ließ. Das war zum Teil deshalb in Ordnung, weil ich 18-Sprung nicht mit eigenen Händen gefangen genommen hatte. Auf der Jagd gilt es ja auch als uncool, wenn man etwas isst, das man nicht selber geschossen hat.
Mit der linken Hand hielt ich 18-Sprungs Stirn, drehte seinen Kopf zu mir, machte einen Einschnitt unter dem Ohrläppchen, fand den Gelenkkopf der Kinnlade und trennte ihn von den Bändern des Kiefergelenks. Dann wandte ich mich der anderen Wange zu, tat das Gleiche, reichte mein langgriffiges Messer einem Weihekandidaten, drückte 18-Sprungs Stirn zurück, damit er nicht zubeißen konnte, hakte meinen rechten Daumen in seine unteren Schneidezähne und riss ihm den Unterkiefer ab. Ein kleiner Schönwetterschauer aus Blut ging um mich herum nieder, und Speichel sprühte aus den Drüsenkanälen. Ich hielt den Kiefer hoch und schwenkte ihn viermal herum. Die Zunge zuckte noch, und rosa Seiber tropfte von ihr herab.Ich warf alles die Treppe hinunter. Die Weihekandidaten richteten 18-Sprung auf, zeigten ihn der Menge und neigten ihn am Rand des Abgrunds spielerisch vor und zurück. Er versuchte sich in die Tiefe zu stürzen, doch sie rissen ihn wieder zurück. Die Menge raste, und einige Abteilungen stockten in ihrem Gesang. Bei der Sache fühlte ich mich alles andere als gut, aber ich muss zugeben – nur um die letzte Sympathie zu beseitigen, die Sie für mich nach allem vielleicht doch noch empfinden –, dass ich in dieser Situation nicht anders konnte, als aufzulachen. Man muss sich dabei jedoch vor Augen führen, wie albern 18-Sprung in dem Augenblick aussah, während seine Vorderzähne ins Nichts ragten und sein großer Kopf auf seinem kleinen Hals hin und her wackelte. Ein Mensch ohne Unterkiefer sieht einfach sehr, sehr komisch aus. Sie gaben mir mein Messer, drehten ihn zu mir um, und ich schnitt ihm den Bauch oberhalb des Nabels waagerecht auf. Er hatte zwar kein Sixpack, aber doch Bauchmuskeln, deshalb war der Schnitt nicht ganz einfach, aber ich schaffte ihn trotzdem in einem Zug. Einen Schlag lang wurde mir ein bisschen schwindlig, entweder vom Lampenfieber oder von widerstreitenden Motiven oder so was, aber hauptsächlich kam es von dem Gefühl, dieses feste Gewebe zu zerteilen. In lebendes Fleisch zu schneiden ist so, als schiebe man den Löffel in etwas Weiches, das seine Form behält, wie Pudding oder Käsekuchen, aus dem man ein glattes Halboval heraushebt. Im Schaffen dieser Aushöhlung liegt eine primitive, urtümliche Faszination. Vielleicht empfinden es Chirurgen auch so. Jedenfalls fing ich mich, gab mein Messer ab, griff mit beiden Armen hinein und nach oben und zerriss ihm mit den Fingernägeln das Zwerchfell. Dieser kleine Vorhang aus Fleisch , dachte ich. Ich fand das Herz und umfasste es für einen Schlag. Wahrscheinlich muss ich nicht eigens erwähnen, dass es ein sehr seltsames Gefühl ist, ein noch schlagendes Herz in den Händen zu halten, aber mir fällt es schwer zu sagen, woran das eigentlich liegt. Ich nehme an, man könnte sich einen Eindruck davon verschaffen, indem man einen Vogel in die Hand nimmt und überlegt, ihn zu Tode zu quetschen. Damit hat man die gleiche unglaubliche Macht am Fluchtpunkt der Linien von Abstoßung und Faszination.
Aus irgendeinem Grund sah ich 18-Sprung ins Gesicht, und seine Augen erwiderten meinen Blick.
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