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2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
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Fettfarbe bemalte Kinn. Ich fühlte mich, als hätte ich mich von einem Krebsspezialisten untersuchen lassen, und er hätte gesagt: »Es tut mir leid, es ist zu spät, um Ihnen zu helfen. Wären Sie vor drei Monaten gekommen, hätte ich Sie heilen können.«
    Ich wusste, dass das Gespräch zu Ende war, dass ich ihm danken und ihn fragen sollte, ob er einverstanden sei, wenn ich ihn verließe, aber ich war zu benebelt, um etwas anderes zu tun als auf den Kreuzungspunkt zweier fleckiger Schilffasern auf der Matte unter mir zu starren. Ich brauchte ein Wort für »frustrierend«, ein Wort von der Größe des Olympus Mons.
    Ich solle lieber meine Frau fragen, sagte er wie aus heiterem Himmel.
    Ich schaute ihn an.
    Ich hätte ihm doch noch etwas mitgebracht, sagte er.
    O ja, richtig, dachte ich. Maske hatte darauf bestanden, obwohl er gleichzeitig betonte, dass die ganze Idee abstoßend sei. Ich machte ein Zeichen für meinen Diener. Er trat ein, reichte mir eine Jadeschuppenschatulle und zog sich wieder zurück. Ich band den Deckel auf, hob Frau Kohs steife, gepökelte Hand heraus und legte sie dem Oberpriester in die dünentrockenen Finger, dünn wie nach dem Backen. Ich versuchte nicht zu zittern, ehe er die Hand zurückzog. Sie fühlte sich an, als wären ihre Knochen hohl wie bei einem Vogel. Er musterte Kohs Hand von allen Seiten, strich sich mit den Nägeln über die Wange, zählte ihre Finger immer wieder und gluckste jedes Mal, wenn er bei sieben ankam.
    »Nun, ich kann ihren Zug hieraus nicht lesen«, sagte er.
    »Aber vielleicht kannst du trotzdem hinuntergehen und sie fragen.«
    Er tat, als wäre an seinem Vorschlag nichts Ungewöhnliches. Offenbar sprach er täglich mit den Toten. Kannst du mich denn einschleusen, damit ich sie sehe?, fragte ich stumm, erwiderte aber nichts, sah ihn nur an und versuchte, meine Atemfrequenz zu senken.
    »Vor vier Sonnen nahm sie diesen Weg«, sagte er.
    »Ich sah sie mit dem Kopf nach unten gehen, und sie weinte.«
    Ich beugte mich vor. Sein Atem roch nach Fleischasche. Das ist völliger Schwachsinn, dachte ich. Aber Sie wissen ja, wenn man völlig verzweifelt ist, dann ist man bereit, so gut alles zu glauben.
    »Und wie soll ich zu ihr gelangen?«, fragte ich.
    »Gehe nicht wieder hoch, gehe weiter hinunter«, sagte er.
    »Sie ist stark, sie wird verweilen, sie wird den Baum finden
    Und erklimmen. Bitte die Krankmacher, dir zu helfen.«
    »Urgroßvater, bitte führe mich dorthin«, bat ich.
    »Nein, ich bin jetzt zu alt«, entgegnete er. »Das Orakel
    Kann dich zum Ufer bringen; dann rufe die Ruderer;
    Sie bringen dich vier Schluchten nach Westen: Blutfluss,
    Eiterfluss, Lanzettenfluss, Brandfluss,
    Und erbrechen dich ans Ufer von Xib’alb’a;
    Geh zu Hofe, beschwöre Herrn Jaguar-Nacht,
    Ehe Sternenrasslerin ihr Neugeborenes verschlingt.«
    Holla, okay, dachte ich. Klar, das bringe ich. Noch drei ganze Tage haben wir ja übrig, da bin ich mir sicher. Zeit wie Heu. Okay, geh einfach wieder hoch und bring’s hinter dich. Es muss funktionieren.Na ja, warum nicht. Man muss eben glauben. Besonders, wenn einem sonst nichts übrig bleibt.
    Wovon der Hierophant sprach, war kein Leben nach dem Tod im christlichen Sinn, und es war auch keine Reinkarnation. Es ging darum, dass einige Menschen, wie beispielsweise Koh, so mächtig waren, dass sie bereits auf dieser Ebene zu den Unsterblichen gehörten. So jemanden machte selbst der Tod nur noch mächtiger, aber die meisten Menschen sind so vergänglich, dass sie praktisch schon tot sind, während sie noch leben, und wenn sie sterben, erwartet man von ihnen, dass sie tun, was sie tun sollen, und ihr Uay freisetzen, damit es zu ihrem relativ unsterblichen Sippengeist zurückkehrt. Und selbst jemand wie Koh wäre nach ihrem Tod vielleicht nicht mehr ganz sie selbst. Sie wäre nur eine aus dem Rassler-Rudel, und vielleicht nicht einmal das Alpha-Tier. Doch auf jeden Fall wollte sie zu den anderen toten und ungeborenen Angehörigen ihrer Sippe, was bedeutete, dass sie den langen Weg nähme und nach unten ginge, ehe sie aufsteigen könnte.
    Ich nahm Kohs Hand zurück, vollzog meine kleine Huldigung und wollte mich schon von dem schrecklichen Oberpriester verabschieden. Er bat mich, ihm die Hand dazulassen. Wahrscheinlich, damit er sich damit einen runterholen kann, dachte ich. Na ja, schön, warum soll ich ihm so ein bisschen Spaß nicht gönnen? Ich sagte okay.
    Das wird nicht funktionieren, dachte ich, als ich die schwitzenden Stufen

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