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2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
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aber begriff ich, dass das Kanu falsch herum lag: Wir paddelten mit den Köpfen nach unten, unter Wasser, auf der dünnen blasigen Grenzfläche zur Luft. Blutige-Zähne stachelte mich wieder an, und ich ruderte automatisch weiter, ohne die Frage loszuwerden, wann ich starb. Dann erschien plötzlich alles normal, wie es nach einiger Zeit bei allem ist. Die Sache war die, dass Xib’alb’a die Kehrseite der Welt darstellt; Ihr Xib’alb’a-Ich läuft mit dem Kopf nach unten unter Ihnen und teilt sich mit Ihnen Ihren Schatten, und Ihre beiden Fußpaare treffen einander, wenn sie die Erdoberfläche berühren. Man kann einen Eindruck davon bekommen, wenn man sich seine Reflexion in einem Swimmingpool oder auch in einem gewöhnlichen Spiegel ansieht. Sie können Ihrem Spiegelbild in die Augen blicken und begreifen, dass die Person dort nicht ganz Sie selber ist – nicht nur, weil sie leicht verzerrt ist, sondern auch deswegen, weil sie etwas ganz anderes im Sinn hat, das ein wenig feindselig ist oder sogar verrückt, und wenn sie Ihr Lächeln erwidert, sehen Sie sofort, dass ein völlig Fremder vor Ihnen steht.
    Also ruderte ich einfach weiter. Ich hatte jetzt natürlich größeren Widerstand, und es war schwieriger, in der Luft zu paddeln statt im Wasser. Ich bemerkte immer wieder, dass die Blasen, die ich erzeugte, ganz anders waren als Wassertropfen. Doch davon abgesehen kam ich eigentlich ganz gut voran. Fistel reichte mir ein fächerartiges Federpaddel, das in der Luft wirksamer war, und ich ruderte uns in einer sich weitenden Kurve voran. Ich spuckte die letzten Luftmoleküle aus und zog mir das kalte Wasser bis in die Lungenbläschen. 2-Juwelenbesetzter-Schädels Haut wirkte als Thermoanzug und hielt mich warm. Die Strömung riss uns in die Stromschnellen und hinein in einen Fjord zwischen weißen, dornigen, sternförmigen Speläothemen, Trauben aus messerartigen Stalagmiten, die von flackerndem Turmalin erhellt wurden. Alles war kristallklar zu sehen, als blickte ich in das Binokular eines Rastertunnelelektronenmikroskops. Ichnehme an, ich wusste noch immer, dass sich alles nur in meinem Kopf abspielte, aber ich wusste auch – zumindest war ich mir damals sicher –, dass ich einen anderen Raum wahrnahm, weniger vergänglich als die Welt, von der ich stammte. Nicht dass ich damit irgendein mystisches Wischiwaschi meine; im Grunde ging es hier sogar weniger mysteriös zu als in meinem vorherigen Leben. Es war, als hätte ich mich in einem alten Hotel eingemietet, in dem es spukte, und plötzlich käme jemand vom Personal in mein Zimmer und schaltete die Bogenlampen unter der Decke ein, und ich könnte sämliche elektrischen Leitungen sehen, durch die die holografischen Gespenster mit Strom versorgt wurden.
    Wir rodelten hinunter in Ebene Minus Vier, vorbei an Ufern, die von den aufgespießten Körpern von Menschen und Tieren gesäumt waren, aus deren Mündern weiße Seemaden quollen wie Mayonnaise, während von Gasen aufgetriebene Bäuche rings um uns stakkatoartig platzten. Der verästelte Kupferkanal verengte sich, brauste donnernd durch eine Schlucht in den Blutfluss und spie uns durch eine Rinne, die ihn schnitt, in den Eiterfluss. Lymphe blubberte über die Dollborde, aber Reißzahn-Kaninchen lenkte uns über mehrstufige Katarakte in den Lanzettenfluss, ein weites Band aus tanzenden Stacheln, und schließlich in einen trägen Strom aus schwarzer Galle, in der Klumpen nekrotischer Leber und brandig stinkende Ölflecken trieben. Kurz fragte ich, ob ich mir dies wegen 2 JS ’ Leberschaden ausdachte; dann fiel mir ein, dass der Oberpriester davon gesprochen hatte.
    Fistel und Rochenstachel verließen sich nicht mehr auf mich und benutzten wieder ihre Paddel. Sie lenkten uns durch miteinander verbundene Lagunen aus geschmolzenem Rubin, Gold und Quecksilber, die sich in marmorierten Kringeln mischten und wieder trennten, auf eine lange, gerade Wasserstraße. Wir fuhren unter Ranken aus kristallinem Epidot an Milpas vorbei, wo Nierenerz-Mais auf säuberlich aufgeschichteten Leichen wuchs. Vor uns, am toten Ende des Kanals, erhoben sich drohend die Hallen der Herren der Nacht wie eine Kette von Karsttürmen über dem Huanghe-Tal, doch so kräftig ich auch paddelte, sie schienen einfach nicht größer zu werden, bis ich nach monotonen dunklen Sonnen des Ruderns über der Bank zusammenbrach und nach der melassedicken Luft schnappte. Da endlich erhoben sich die Tempel in pilzartig wuchernder Pracht über uns,

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