2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
auf sein Gesicht zu erhaschen, auf mein Gesicht also, mit einem Ausdruck, als betrachtete er sein sterbendes Kind, wenn er eins gehabt hätte. Beinahe ein Ausdruck des Abscheus. ZweiFaden weiter oben hatte sich meine Maske ebenfalls mit Blut gefüllt. Irgendwie bekam ich sie herunter. Halt den Atem an, dachte ich, aber ich konnte es nicht und saugte eine brennende Schlange aus Meerwasser ein. Das war es dann wohl, dachte ich. Goodbye, Columbethius. Bye, bye, Birdie. Hallo, Toty. Bring es Mutter schonend bei. Sowieso ’ne grausame Welt. So …
Autsch! Klauen zerrten von hinten an mir. Vielleicht würde ich gerade noch lange genug leben, um Schmach und Schande meines Versagens auszukosten. Es kam mir vor, als wäre es schon ein Jahr her, dass ich Jed 1 entdeckt hatte. Das bedeutete, es mussten wenigstens zehn Minuten vergangen sein. Was war schiefgelaufen? Ich meine, außer allem anderen … Au, au! Diese verdammten Dekompressionsschmerzen.
Sie zogen mich an Bord und legten mich mit dem Gesicht nach unten auf eine Art Trage. Ich erbrach mich. Da ich noch immer glaubte, an der Taucherkrankheit zu sterben, konnte ich mich auf nichts anderes konzentrieren als auf das Muster auf dem grauen, linoleumähnlichen Decksbelag, über den irgendeine Flüssigkeit in Wellen hinweglief. Sie sah aus wie starker Tee … oder verdünntes Blut. Nachdem ich das ganze Wasser und, wie es mir vorkam, auch einige meiner Innereien herausgewürgt hatte, drehten sie mich auf den Rücken. Mein Blick fiel kurz auf Jed 1 , der neben mir lag. Er sah nicht gut aus. Ich bemerkte, dass meine Zähne klapperten, und ich hörte sinnloses Geplapper … das heißt, ich konnte nicht klar genug denken, um zu verstehen, was sie sagten; deshalb klang es wie eine mir unbekannte Sprache. Dann hörte ich ein Summen, spürte eine Vibration in meiner linken Wade und begriff, dass sie von einer Art elektrischer Chirurgenschere stammte, mit der sie mir den Anzug aufschnitten. Eine Frauenhand – Lisuartes? – hielt eine Art Tasse über meinen Schritt, an die linke Seite meiner Geschlechtsteile. Scheißeverdammtescheiße ichfassesnicht, dachte ich. Ich hatte unten zu sehr unter O 2 und Adrenalin gestanden, um es zu merken, aber der kleine Heimtücker musste mich mit seinem Tauchermesser gestochen haben. Hatte es auf die Beinarterie abgesehen. Wenn er sie getroffen hätte, wäre für mich nach drei Minuten alles vorbei gewesen. So viel zumdurchdringungsfesten Taucheranzug … au! Das ist doch nicht auszuhalten. Autsch! Herr im Himmel. Ich kann doch nicht so sterben. Ich bin ein Filmstar, verflucht noch mal.
Neben mir krümmte sich Jed 1 zusammen wie eine riesige Faust und entspannte sich wieder. Ich bemerkte, dass sie bereits ein Tütchen von Tony Sics mit Leukozyten angereichertem B+-Saft angeschlossen hatte, das Dr. Lisuarte mich vor vier Tagen vorausschauend für mich selbst hatte spenden lassen.
Na, Hölle. Das war es. Ich bin tot, dachte ich, oder er war tot, oder noch genauer, die Welt war tot … würde es jedenfalls bald sein. Ich hatte es vermasselt. Gründlich. Gründlicher ging’s nicht. Todo por mi culpa . Alles nur meine Schuld. Ich bin der größte Versager in der Geschichte der Schöpfung. Jawoll. Seit dem Urknall hatte niemand im ganzen Universum so vollständig und auf ganzer Linie versagt wie ich. Ich hörte, wie der Motor des Bootes in den ersten Gang schaltete. Etwa zwei Minuten später bekam ich mit, wie Dr. Lisuarte mit der Crew am Ufer telefonierte und bestätigte, dass Jed 1 tot war.
(92)
Das einzige Gute an einem Krankenhauszimmer ist, dass es privat sein kann, so wie mein Zimmer es war. Es war so privat, dass sogar Stille darin herrschte. Beklemmende Stille. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich in der Pathologie lag.
»Wie lebensbedrohlich ist es?«, fragte ich bemüht lässig, um vor Marena wie ein harter Bursche zu wirken. Obwohl Sics Körper jünger, fitter und hübscher war – sagen wir, auf konventionelle Weise hübscher, katalogmäßig besser aussehend und außerdem hämophiliefrei –, wollte ich meinen Originalkörper zurück, und sei es nur, um mich davon zu verabschieden. Ich hatte mehr als einmal um ihn geweint.
»Gar nicht«, antwortete Dr. Lisuarte. »Dekompression Typ II . Aber Ihr rechter Arm bleibt wenigstens einen Monat in Gips.« Sie erklärte, dass zwar nur der zweite Mittelhandknochen gebrochen sei, aber sie habe ihn in vier Teile zerlegt, und er müsse über einen längeren Zeitraum stabilisiert
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