2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
schnüffelte noch einmal. Ein bisschen roch es danach, aber nicht genügend. Ein anderer Bestandteil war Alkohol, das merkte ich an der Verdunstungskälte, aber da war normalerweise noch etwas. Und wenn der Alkohol verflog, sah dasechte Medique milchig aus. Aber das hier … na ja, vielleicht doch, vielleicht aber auch nicht … ich meine, ich verließ mich seit Jahren auf das Zeug.
Nein. Das ist kein Medique. Die Hurensöhne hatten es ausgetauscht, wahrscheinlich gegen Isopropylalkohol. Gemeine Schweine! Gemeinschweine! Mich überkam das Gefühl, auf dem Spielplatz schikaniert zu werden. Wut schoss in mir hoch wie ein würziger Rülpser von einer dreißig Jahre alten Mahlzeit. Gemein und grausam. Nur sollte ich nicht reden (EAZ), vermute ich mal. Ich nahm meine Hand weg. Das Kleenex war blutgetränkt und rutschte ab. Klebrig war es in keiner Weise. Da gerann etwas ganz und gar nicht so, wie es gerinnen sollte. Ach du große Scheiße. Ich war normal, verdammt. DIE ANGST kroch mir über den ganzen Körper und durch den Mund und in meine Eingeweide. Ich war normal. Ich leckte mir die Lippen, aber am Geschmack merkte man es nicht. Ich war normal …
Dr. Lisuarte, dachte ich.
Sie musste mir schlechten Faktor VIII gegeben haben. Ich hatte sie erst vor ein paar Wochen besucht, und sie hatte mir den Gerinnungsfaktor verabreicht. Oder eben nicht. Vielleicht hatte sie mir stattdessen …
Und was, wenn sie unschuldig war? Wenn ES dahintersteckte? Dann mussten sie mir einen Gerinnungshemmer oral verabreicht haben. Enoxaparin-Natrium vielleicht? Aber für diese Wirkung wären mehrere Dosen erforderlich, und das Zeug hat einen ziemlich intensiven kreidigen Geschmack, den ich bemerkt hätte … Und überhaupt, wieso auch? War es der erste Teil eines Plans gewesen, mich zu ermorden und meinen Tod so aussehen zu lassen, als wäre ich von meinem alten Leiden dahingerafft worden? Oder hatten sie mich nur unauffällig in ein Krankenhaus bringen wollen, wo es ganz einfach wäre, mich im Auge zu behalten? Oder handelte es sich bei dem Gerinnungshemmer um einen exotischen Wirkstoff, für den nur ES ein Gegenmittel hatte, sodass ich von ihnen abhängig wäre? Nein, das war absurd. Vielleicht …
Hör auf. Was immer sie getan haben, du hast keine Zeit, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Keine zehn Minuten mehr, und dubist verblutet. Wir haben es hier mit einem Notfall zu tun, bei dem professionelle Hilfe nötig ist. Ich brauchte Rettungssanitäter, eigentlich sogar die Notaufnahme. Nur würde ich dann in die Gewalt von ES geraten, und das wär’s dann gewesen. Außerdem hätten die Rettungssanis selbst dann kaum Zeit genug, die Sache in den Griff zu bekommen, wenn sie bereits hier wären. Normalerweise haben sie kein Thrombogen dabei. Sie würden Druckverbände anlegen und Schockkompressen um die Beine legen, aber das würde vielleicht nicht ausreichen. Und ich konnte sowieso nicht in ein Krankenhaus. Denn Krankenhaus = Identifizierung = Hinzuziehung der Polizei. Und Polizei = Warren = Folter.
Okay, also zu Plan X. Ich hatte keine Streichhölzer gesehen, und ich konnte mich auch nicht erinnern, welche in den Wagen gepackt zu haben. So viel zum Überlebenssakko. Selbst Rambos Messergriff enthält Streichhölzer, du trübe Tasse.
Dann war’s das also …
Nein! Denk nach.
Der Zigarettenanzünder.
Ich tastete nach dem 12-V-Anschluss, fand ihn und drückte das Ding hinein, aber es blieb keine Sekunde unten, sondern sprang sofort wieder raus, wie es normalerweise erst dann hätte der Fall sein dürfen, wenn es heiß ist, aber ich drückte es trotzdem gegen die Stirnwunde. Wie sich herausstellte, war keine Spule in dem Anzünder; deshalb konnte er sich gar nicht aufheizen. Verdammt. Irgendwann ist diese Gesundheitsstasi noch mein Tod.
Okay. Ich muss hier raus. Muss hier raus muss raus muss raus raus raus raus raus raus.
»Five to one, baby, one in five.« Der Lizard King stöhnte noch immer; es hätte gut in Christine gepasst. Mir lief weiter das Blut aus der Nase, als wäre sie ein aufgedrehter Wasserhahn. Ich schluckte. Gluck. Spritz. Spritz. Raushierraushierraushier. Nein, nicht in Panik geraten. Ruhig, dachte ich. Mach weiter mit Plan Y. Ich zog mir das Sakko über. Au! Okay.
Hmm.
PRIEP, PRIEP, PRIEP, PRIEP, PRIEP, PRIEP, PRIEP, PRIEP.
Ich konnte mich in keinen günstigen Winkel zum Seitenfenster bringen; deshalb fuhr ich den Sitz ganz zurück – wenigstens das ging noch –, stemmte mich gegen die Rückenlehne und stieß
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