2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
beide Beine nach oben gegen die Scheibe des sogenannten Monddachs. Sie flog aus der Gummidichtung, ohne zu bersten – eine sehr willkommene kleine Gunst des Schicksals –, und ich stellte mich auf den Sitz, löste mich aus den Wir-schnallen-dich-an-ob-du-willst-oder-nicht-Schultergurten und wand mich zu dem Monddach hoch. Holla. Schwindlig. Richtig schwindlig. Ich war mit zu wenig Blut im Körper zu abrupt aufgestanden. Halt dich fest. Okay. Ich bekam die Beine heraus und saß einen Augenblick auf dem Autodach. Der Abend war kalt. Nein. Das war nicht die Luft. Ich verlor meinen Lebenssaft. Schließlich ließ ich mich über die Windschutzscheibe und die gewachste Motorhaube heruntergleiten. Ich bekam den Grapefruitbaum zu fassen, der den Wagen gestoppt hatte, stellte die Füße auf den Boden und floss über den Kühler auf das Gras.
PRIEP, PRIEP, PRIEP, PRIEP.
Autos zischten vorbei. Eine Sirene. Ich blickte mich um. Nichts. Nur Wunschdenken, das den Tinnitus in meinen Cochlae verstärkte. Okay. Halt dich an die Tatsachen.
Ich wuchtete mich hoch, watschelte zu dem niedergedrückten Drahtzaun und gelangte auf den kiesbedeckten Seitenstreifen. Okay. Bye-bye, Barracuda. Schritt, Schritt. Meine Füße spürten Asphalt.
Wo? Was?
Was jetzt? Soll ich mich vor einen Wagen stellen und winken und ihn anhalten? Nein, das wird nicht funktionieren. Die Leute sind zu misstrauisch. Wie sie es sein sollen. Sie werden die Türen geschlossen halten und mich über den Haufen fahren und mir dann sagen, sie hätten Officer Friendly angerufen; bis zu seinem Eintreffen könne es sich nur um Stunden handeln. Ich musste mich per pedes retten. Hmm. Vor vier Minuten war ich an einem Walgreens vorbeigekommen, aber das war jetzt zu weit entfernt. Okay, Plan Yuzz. Ich musste mich mit Fast Food begnügen.
Ich schlurfte auf die Ausfahrt zu. Runter zu McDonald’s. Die Fressbude war weiter weg, als ich dachte. Vielleicht zweihundert Meter.Ungefähr dreihundert Schritte. Wenn man befürchtet, innerhalb von fünfzehn Minuten zu verbluten, sind das … nein, rechne nicht. Tu es einfach. Schritt, Schritt. Au! Knöchel tun weh. Fühle mich schwindlig. Noch ein paar Minuten, und ich bin so matschig in der Birne, dass ich nicht mehr weiß, was ich vorhabe, und dann setze ich mich kurz hin, um durchzuschnaufen, und das war’s dann. O Gott, o Gott! Meine Fingerspitzen wurden taub. Ach du Fuck, ich war am Arsch. Als ich unter die erste hohe Natriumdampflaterne des Rastplatzes kam, fiel mir auf, dass mein rechter Fuß einen blutigen Abdruck hinterließ. Ausnahmsweise wörtlich zu nehmen. Brrrr. Kalt. Ich hab genug. Das reicht. Mir langt’s. Es ist vorbei, es ist alles …
Nein. Mach weiter, Lemmiwinks. Du kannst es schaffen. Es ist schon Seltsameres passiert. Frösche haben hundert Jahre in Beton eingeschlossen überlebt. Und nicht nur Michigan J. Frog. Neunzigjährige Omas haben Dinge überstanden, die ein wildes Yak umgebracht hätten. Ich schlurfte weiter auf die große, M-förmige Sonnenweg-Hieroglyphe zu, schleppte meine Osmiumfüße durch immer stärker koagulierende Luft. Schritt. Schritt. Na los.
Schritt.
Schritt. Ich fand den kleinen Ziplock-Beutel mit Oxycodon in meiner Uhrentasche, warf mir alle acht Pillen ein und zerkaute sie. Igitt.
Schritt. Schritt.
Am besten, du nimmst auch ein paar Adderalls, dachte ich. Amphetamin hilft in jeder Lebenslage. Ich tat es. Ich zerkaute vier Stück und schob mir die Paste unter die Zunge. Okay.
Schritt.
Kalt. Schritt. Ich schaffe es nicht, dachte ich. Auf keinen Fall. Weshalb auch die Mühe? Nur noch sieben Wochen. Das ist doch nichts. Da kannst du auch jetzt gleich den Abgang machen. Nur dass du ihnen die Genugtuung nicht gönnst. Du willst der Letzte sein, der das Haus verlässt, damit du das Licht ausmachen kannst. Was für eine blöde Idee. Schritt. Mit einem Schluck Blut spülte ich den Brei aus Oxy und Speed hinunter. Schritt. Schritt. O Jesus Christus am Kreuze, lass mich durchhalten, o wiederauferstandener Heiland, oHerr des Streitflegels, Herr des Speeres, o Jesusbaby, o aufreißerischer Dreißigundeinpaarkaputte-Jesus, jetzt tu mir den Gefallen, o schwarzer Jesus, o weiblicher Jesus, o phosphoreszierender Polystyrol-Jesus für das Armaturenbrett, o jeder Jesus …
Schritt.
Schritt.
Schritt.
Bis zu McDonald’s brauchte ich eine Ewigkeit, und dann fiel mir ein, dass ich eigentlich lieber zu Burger King wollte. Ich sah hoch. Da! BK war ein bisschen weiter weg – zu weit –, am
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