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2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
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Führungspersönlichkeiten der Seidenweberinnen-Gemeinschaft – von denen ohnehin nur zwei bei uns waren – und spielte deren Abgrenzungsbemühungen herunter. Sie musste ein Bündnis zusammenhalten und sich zumindest in den Augen der Öffentlichkeit zugleich als neue religiöse Instanz positionieren. Noch vor vierzig Tagen, vor der Letzten Vierten Sonne, waren die allermeisten Rasslerkinder nicht ausdrücklich Gefolgsleute Kohs gewesen; viele hatten sie nicht einmal gekannt. Jetzt aber, nachdem die Pumas unterschiedslos alle Rassler angriffen, konnte Koh es so aussehen lassen, als leitete sie den Widerstand, und Tausende waren zu uns übergetreten. Oder besser ausgedrückt: zu ihr.
    Peinlicherweise hatte ich noch immer nicht viel über die Kinder des Sternenrasslers herausgefunden, denn sie waren ein geheimniskrämerischer Haufen, und obwohl ich als in ihren Kreis aufgenommen betrachtet wurde, hatte ich noch an keinem einzigen Ritual teilgenommen. Als sie während der Vigilie auf ihrer Mul erschienen, waren sie ebenfalls nur Zuschauer beim Ritual der Pumas gewesen, keine Teilnehmer. Doch ihr Glaube, wenn man es so nennen konnte, bedeutete einen Fortschritt gegenüber den althergebrachten Ahnenkulten. In mancher Hinsicht verherrlichte er Armut und Mäßigung, jedoch auf andere Weise als die blutigen Folterrituale der alten Herrscherklasse. Auch wenn er davon noch einiges beinhaltete, war er meditativer und Theravada-mäßiger angelegt – jenem New-Age-Blödsinn verwandt, den ich nicht ausstehen kann. Doch als ich mehr davon erlebte, begriff ich, dass es sich um eine Art menschlicher Technologie handelte, die den Fatalismus des Menschen auf eine neue Art und Weise ausnutzte, und das war vielleicht sogar nötig. In den alten Sippenhierarchien hätte sich jedes Mitglied einer abhängigen Sippe umgebracht, wenn sein Großer Muttervater es ihm befahl, sonst wären er und seine Kinder zu ewigem Schmerz verurteilt. Die Menschen unter dem Zeichen des Rasslers schienen stoischer zu sein, glücklicher mit der Strenge von Leben und Tod, vermutlich, weil ihnen so wenigstens ein Hauch von Respekt erwiesen und immerhin ein bisschen Ruhe verhießen wurde.
    Nur sehr wenige untergeordnete Neubekehrte bekamen Koh persönlich zu Gesicht, aber etliche von ihren Anführern schon, und sie schienen beeindruckt. Sie erzählten, wie die Rasslerkinder erkannten, was anderen verborgen blieb, und wie der Geifer der großen Schlange ihnen den grauen Star aus den Augen spülte. Um das Blut ihrer Stammlinien in den kommenden Generationen am Leben zu erhalten, hatte jeder neue Apostel die besondere Pflicht, Frau Koh in das Reich der nächsten Sonnen zu folgen. Kohs Vertraute waren zu einem fanatisch treuen Kader geworden, und ganz egal, wie viele sie noch zu sich hinziehen wollte, sie nahm Lenins Ausspruch vorweg, dass eine Handvoll ergebener Seelen besser sei als eine Armee unmotivierter Söldner.
    Koh besaß ein Händchen für die Staatskunst. Sie schickte Gesandte zu allen großen Seidenweberin- und Karakara-Familien aus, zu einigen ungebundenen Sippen und sogar zu mehreren unzufriedenen Katzenfamilien. Offenbar war es in Teotihuacán eine große Sache gewesen, dass sie lesen und schreiben konnte, und eine ihrer Einnahmequellen hatte darin bestanden, ihre Schreiber Aufzeichnungen und Protokolle für die weniger gebildeten herrschenden Familien Teotihuacáns führen zu lassen. Sie hatte sogar eine Bestrebung gefördert, die Geschichte der Stadt – deren Aufzeichnung bislang vor allem auf Bild- und Textildokumente, gekoppelt mit mündlicher Überlieferung beschränkt gewesen war – in der Sprache Teotihuacáns mit einem System aus Ch’olan-Schriftzeichen festzuhalten, und einige Manuskripte besaß sie noch. Andere Herrscher hatten bereits über Herolde um Abschriften gebeten, und Koh verfügte über ganze drei Affen-Sippen – Kalligrafen, die beeindruckenderweise mit einem winzigen Pinsel schreiben konnten, während sie in Tragekörben hin und her pendelten. Koh hielt sie den ganzen Tag lang beschäftigt. Tatsächlich waren die Geschichtswerke dahingehend umgeschrieben worden, dass Koh gut dastand; man kann wohl sagen, dass sie Propagandaschriften verbreitete.
    Und vielleicht zeigt es ja Wirkung. Vielleicht war die Lage nichtso verzweifelt, wie es mir vorkam. Vielleicht würden uns genug Tieflandsippen unterstützen, sodass wir … nur, wer sind wir? Wenn »wir« die Anführer der Rasslerkinder bedeutet, dann waren »wir«

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