2.02 Der fluesternde Riese
bekommt, wird dein Trikot ninja-gespenstermäßig-so-gut-wie-unsichtbar-schwarz. Du wirst das Phantom mit dem Dampfhammerschuss, und apropos Dampfhammer:
Nerv, du wirst unser Joker. Das Chamäleon, hörst du. Dein Trikot kann sich deshalb ständig verwandeln. Orange-schwarz gestreift vorn, auf dem Rücken ganz schwarz, wie das Trikot von Maxi, und wenn du es ausziehst und falsch herum trägst, sind die Streifen dann quer, wie bei den englischen Mannschaften, oder du bist ganz orange, wenn du den Rücken vorn trägst.
Ich werde ganz leicht. So wie die Piraten in der Karibik. Wie Höllenhund Will oder Moses Kahiki. Ich trag nur ein Hemd und eine ganz leichte Hose. Ich flieg auf dem Wind der Intuition, und an meiner Seite stürmt – so gerissen und trickreich wie Honky Tonk Hannah 29 – Vanessa auf rechts.“
Jetzt horchte Willi zum zweiten Mal auf. Er sah mich dabei sogar stirnrunzelnd an, und ich wollte ihn noch mehr verblüffen. Ich zeigte ihm Vanessas Entwurf. Die schwarz-orangefarbene Uniformjacke und den schwarz gefiederten kurzen Rock. Dann schlug ich die vorletzte Seite auf. Dort hatte ich uns als Mannschaft gezeichnet. Wir standen stolz und geschlossen nebeneinander, und ich spürte denselben Stolz, als ich das Raunen der Freunde hörte.
„Wir sind jeder anders. Jeder hat sein Talent. Und obwohl sich jeder vom anderen mehr als deutlich unterscheidet, sind wir doch eine Mannschaft. Uns vereinen die Farben. Das nachtstolze Schwarz und das wilde Orange und natürlich das Logo: das listige Auge um das fauchende Maul.“
Ich blätterte ein letztes Mal um und zeigte das Logo. Es schien wirklich zu brennen.
„Was ist?“, fragte ich Willi. „Willst du immer noch schweigen?“
Da nahm er den letzten Bissen seiner Wurst. Er kaute ganz ruhig und geduldig zu Ende, wischte sich dann über den von Ketchup und Mayonnaise verschmierten Mund und brummte:
„Ich denke, ich hab dir schon alles gesagt. Du bist auf dem Holzweg. Und soweit ich mich heute erinnern kann, hab ich dich gestern vom Bolzplatz geworfen. Hab ich das, Marlon?! Und hab ich dir nicht noch was anderes gesagt: Ich will dich niemals wiedersehen?“
Er verengte die Augen zu feindseligen Schlitzen, und für einen Moment verlor ich den Halt.
Der Boden schien unter meinen Füßen zu wanken. Er schlug bereits Wellen, und ich sah, wie meine entsetzten Freunde in ihnen zu ertrinken drohten. Da fasste ich mich. Ich nahm Willis Feindseligkeit an.
„Das hast du. Das stimmt!“ Ich ballte die Fäuste. Ich wollte den Wirbelsturm in meinem Kopf stoppen. Was war nur verflixt noch mal in Willi gefahren? Ich erkannte ihn nicht wieder. Er war wie verhext. Er war unser Feind. Er war böse geworden.
„Das hast du. Das stimmt!“, wiederholte ich mich und wurde noch zorniger und feindseliger. „Aber du hast dich leider in mir geirrt. Ich weiß, was ich tue, und der Kerl, dem alles unter den Füßen wegschwimmt, bist du. Dein Wohnwagen ist zu Staub zerfallen. Zu rostigem Staub. 30 Und jetzt zeltest du hier wie ein armseliger Penner. Ja, hörst du, das ist es. Du bist ein Penner wie Billi. Also verzieh dich zu ihm unter die Brücke am Fluss. Wir brauchen dich nicht mehr. Willi, hau ab!“
Ich starrte ihn an. Ich war bereit, mich auf ihn zu stürzen und ihn zu verjagen. Da stand Willi auf.
„Okay“, sagte er und wischte sich seine vom Wurstessen fettigen Hände an der Hose ab. „Und da ihr Marlons Meinung teilt …“ Er sah einen Kerl nach dem anderen an und wartete vergeblich auf Widerspruch. „Und da ihr Marlons Meinung teilt, werd’ ich sie befolgen.“
Mehr sagte er nicht. Er packte sein Zelt zusammen, schnallte es auf sein Mofa und fuhr ratternd und furzend aus dem Teufelstopf .
Wir schauten ihm nach. Wir fühlten uns plötzlich ganz einsam und klein, doch dann fiel mein Blick auf die fetten Würste. Sie brutzelten saftig und braun an den Spießen.
„Hey!“, rief ich. „Heute war ein fantastischer Tag.“ Ich nahm die Spieße aus dem Feuer und reichte sie an meine Freunde. „Wir haben Geburtstag. Wir wurden wiedergeboren. Los, Nerv, zeig uns die neuen Verträge.“
Und während ich feierlich jedem der Kerle Ketchup und Senf und Mayonnaise auf seine Wiedergeburts-Geburtstagswurst strich, las Nerv laut und deutlich:
„Für immer wild!“
Oh, das hörte sich gut an.
„Für immer wild und immer gut.“
Wir aßen die Würste. Wir lachten uns an. Wir genossen es, endlich erwachsen zu sein. Erwachsen ohne Erwachsene. Ja, die konnten uns
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