2030 - Chimaerenblut
kommen?
Da tauchte Lars‘ Blondschopf über ihm auf. Lars hob den Zeigefinger an die Lippen. Dann ließ er die Hebebühne zurück gleiten. Constantin schwang sich aufs Brett und legte den Riegel um. Der Motor arbeitete lautlos.
»Hast du sie gesehen?«, flüsterte er.
Lars nickte. »Eine echte Sirene. Ich hätte nie gedacht, jemals einer zu begegnen.«
»Wo ist sie hin?« Constantin und Lars sahen sich an Deck um. Auf dem Boden zeigte sich eine nasse Spur, als hätte jemand dort entlang gewischt.
»Da lang!«
»Ich geh vor!« Lars grunzte leise. »Ich bin kräftiger. Du…«
»Glaubst du, ich werde mit ihr nicht fertig?«, unterbrach Constantin ihn barsch.
»Hast du ihren Schwanz gesehen?«, zischte Lars. »Hai. Zebra oder Tigerhai. Eindeutig. Ich weiß nicht, wie viel Kraft da drin steckt. Ich schätze, ist nicht angenehm, wenn sie damit um sich schlägt. Wir sollten vorsichtig sein.«
Constantin verzog die Mundwinkel. Er wusste zu genau, was Lars ihm sagen wollte. Und es gefiel ihm nicht. Wenn er umfiel, würde er nicht so schnell aufstehen können wie ein gesunder Mann. Außerdem konnte die feine Elektronik in seinen Beinen beschädigt werden. Er seufzte innerlich. Verdammter Unfall!
Lars öffnete die Tür.
» Hej !«
Sie drehte sich um. Ihre dunklen Augen blitzten auf – fast noch gefährlicher als das Messer, das sie in den Händen hielt.
Ausgerechnet das große mit der dicken Stahlklinge.
»Messer fallen lassen!«, herrschte Lars sie an.
Die Undine umklammerte den Griff. »Weg da!«, rief sie.
Doch Lars blieb ruhig stehen. Constantin drückte den Lichtschalter für den Deckenfluter . Im Raum wurde es taghell.
Prompt schwang sie das Messer durch die Luft. »Keinen Schritt näher!«, kreischte sie.
Constantin trat neben Lars.
»Hey, wir tun dir nichts!«, sagte er und hob beschwichtigend die Arme.
»Solange du uns nichts tust«, murmelte Lars.
Constantin schob ihn beiseite. Hatte er nicht die Verzweiflung in ihrer Stimme bemerkt? Und die Tränen in ihren Augen?
»Was willst du mit dem Messer?«, fragte Lars.
»Lasst mich gehen!«
»Ist dir schon mal aufgefallen, dass du nicht gehen kannst.«
»Lars, halt die Klappe!«
Constantin hockte sich zu ihr runter. »Gib mir das Messer. Du weißt doch gar nicht, wie man so etwas macht.«
»Was?«, stammelte sie.
»Die Klinge ist zu stumpf, um sich damit die Pulsadern aufzuschlitzen. Du schneidest dir nur die Sehnen durch. Sehr schmerzhaft. Er drehte den linken Arm in ihre Richtung, damit sie die Narben auf seinem Unterarm sehen konnte. Also ich habe nach einem Arm aufgehört und um Hilfe gerufen.«
Constantin verstummte und beobachtete die Chimäre. Über ihre Wangen liefen Tränen. Sie wischte sich mit dem Handrücken darüber. Das Messer in ihrer Hand zitterte. Sie schien zu überlegen. Er rührte sich nicht. Hinter seinem Rücken vernahm er, wie Lars sich wortlos entfernte. Offenbar hatte er begriffen, dass von ihr keine Gefahr ausging.
»Wie können wir dir helfen?«, fragte Constantin bemüht ruhig.
»Indem ihr mich wieder von Bord lasst.«
»Das kann ich leider nicht verantworten.« Er schüttelte den Kopf. »Sicher finden wir eine Lösung, eine gute Lösung. Glaub mir, ich kann dir helfen. Ich weiß, wovon ich spreche«, er schluckte, »Mädchen, ich habe das auch alles durchgemacht.«
Sie schüttelte den Kopf.
Er klopfte auf seinen Oberschenkel. »Ich bin querschnittsgelähmt.« Mit der Handkante wies er auf seinen Bauchnabel. »Ab hier bin ich tot. Du kannst mir glauben, das ist auch nicht toll.«
Constantin bemühte sich zu lächeln. »Ziemlich ungünstige Position für mich, hier unten. Hätte ich vorher dran denken müssen. Aufstehen ist nämlich gar nicht so einfach für mich, ohne Halt. Die Balance…«
»Na und? Ich kann gar nicht mehr stehen«, fiel sie ihm ins Wort und schob die Unterlippe vor.
»Gibst du mir das Messer? Bitte!«
Sie ließ es fallen.
Lars war zurück und warf ihr eine Decke zu. »Hier! Du hast ganz blaue Lippen. Sieht nicht gesund aus.«
Lars legte ein Shirt auf Constantins Schulter und zog ihn mit einer Armbewegung hoch.
Eine Stunde später saß Josi langgestreckt auf der Eckbank und hielt eine Tasse mit dampfendem Tee in der Hand. Lars hatte sie hochgehoben und dort abgesetzt. Sie war verwirrt. Nach zwei Tagen im Wasser hatte sie sich mehr und mehr wie ein Hai gefühlt – und so wollte sie nicht leben. Die plötzliche Nähe der fremden Menschen weckte in ihr die Sehnsucht nach ihrem alten
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