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2030 - Chimaerenblut

2030 - Chimaerenblut

Titel: 2030 - Chimaerenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Twin , Mo Twin
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eisigem Griff umklammert. Was machen die hier? Wo bin ich?
    An den Fenstern waren Gitter. Leon hatte das Gefühl in einem Albtraum gefangen zu sein. Er rief den Ärzten und Schwestern »Help me « zu, doch sie ignorierten ihn. Sie schienen sich nicht einmal zu wundern, dass seine Hände in Handschellen waren. Eine rothaarige Ärztin sprach lächelnd mit dem Arzt. Dann winkten sie einen weiteren Wächter heran und schoben Leon in den Untersuchungsraum.
    »Was geschieht hier?« rief er dem Russen zu, der ihm am Morgen die blutige Nase verpasst hatte. Der Mann gab keine Antwort. Er schien durch ihn hindurch zu sehen.
    Die Ärztin wies Leon an, sich auf die Liege zu legen. Dann drückte sie den Schalter am Kernspinntomografen . Leon verschwand in einer engen Röhre. Während die Ärzte eine Gesamtaufnahme seiner inneren Organe machten, schien die Welt in der Röhre plötzlich still zu stehen. Rauschen legte sich auf Leons Ohren. Der Schweiß brach ihm aus den Poren. Er hatte das Bedürfnis gegen die Metallwände zu schlagen, fühlte den heftigen Drang sich zu bewegen, davonzulaufen. Er schloss die Augen und wünschte sich auf eine Wiese. In Gedanken versuchte er davon zu galoppieren, aber sein Herzschlag beruhigte sich nicht.
    Auf dem Weg zurück in den Gefängnistrakt begegneten ihnen weitere Wächter. Leon schnürte es den Hals zu, als er sah, wie sie mit brutaler Gewalt eine Gruppe Jugendlicher in Ketten mit sich zerrten. Ihre zerlumpte Kleidung und die dünnen, ausgemergelten Körper ließen keinen Zweifel, dass es Straßenkinder waren. Er blickte in dunkle, schreckgeweitete Augen.
    Sein Bewacher zischte. »Hier dich niemand verstehen. Du schreien wie du wollen. Aber wenn du randalieren, dann wir dich stecken in Zwangsjacke und ich dich verprügeln.«
    »Verdammt, wo bin ich hier?«
    »In Russland, wo sonst.«
    Lachend nahm der Wächter ihm die Handschellen ab und drückte ihn zurück in seine Zelle. Die Tür schlug scheppernd zu.
    Leons Magen rebellierte. Er schleppte sich zu der silbernen Kloschüssel und spuckte Galle. Nachdem der Anfall vorbei war, begann er fieberhaft zu grübeln. In drei Stunden mit dem Auto nach Russland? Wie war das möglich? Draußen hatte die Luft nach Salzwasser gerochen, nach Öl, Fisch und Industrieanlagen. Wo war er? Dann fiel es ihm ein. Die russische Exklave Kaliningrad. Russlands eisfreier Hafen zur Ostsee.
    Leon überlegte, was er über die Stadt wusste: Seit zehn Jahren war Kaliningrad die russische Antwort auf die Freihandelszonen der Welt. Seit der neue Flughafen eröffnet worden war, boomten die Geschäfte in Kaliningrad. Korruption, Prostitution, Drogen und Krankheiten prägten das Stadtbild. Hier hatte die Große Influenza besonders stark gewütet. Manche behaupteten sogar, in Kaliningrad sei das Virus zuerst ausgebrochen. Doch niemand konnte das so viele Jahre später noch beweisen.
    Der Fluss musste demnach die Pregel sein. Leon kratzte sein Geschichtswissen zusammen. War Kaliningrad nicht vor einer Ewigkeit mal eine deutsche Stadt gewesen? Es fiel ihm wieder ein. Königsberg. Bis Ende des Zweiten Weltkriegs.

 
65
    Montag, 3. Juni, Kaliningrad:
    Kevin Stoka saß in einer kleinen, schmuddeligen siebziger-Jahre-Küche. Die Rosentapeten an den Wänden waren vergilbt, die geblümte Plastiktischdecke auf dem Küchentisch war abgewetzt und an vielen Stellen zerschnitten, die eierschalenfarbenen Schränke hatten Flecken, und selbst an den alten Holzstühlen blätterte die Farbe ab. Er glättete einen Stapel Dokumente, dann setzte er die Spitze des Kugelschreibers auf die gestrichelte Linie und unterschrieb mit eckiger Handschrift. Mit der linken Hand machte er eine Faust und führte sie wie einen Stempel auf das Papier. »Jetzt wird alles gut Marga. Das ist der Vertrag für die Operation.« Er blickte von seiner Schwester zur Urgroßmutter und wieder zurück zur Schwester.
    »Du bist der beste Bruder der Welt.« Marga hob ihre weißen Flügel und flatterte damit, bis der Windstoß das Papier leicht anhob. Kevin legte eine Hand auf die Blätter. Marga hielt in der Bewegung inne. »Schon bald werde ich meine Kaffeetasse selbst greifen können…« Mit der Flügelspitze stupste sie vorsichtig gegen die dampfende Tasse, die vor ihr stand.
    Der alten Frau am Tisch kullerte eine Träne über das Gesicht. »Dann kann Gott mich endlich zu sich holen. Ich dachte schon, er hat mich vergessen.«
    »Sag’ so etwas nicht.« Kevin nahm die Hand vom Papier und legte sie auf den runzligen Arm

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