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2030 - Chimaerenblut

2030 - Chimaerenblut

Titel: 2030 - Chimaerenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Twin , Mo Twin
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Abwasserschacht war schwer, aber nicht zu schwer. Leon zog ihn zur Seite, sprang in die Kanalisation und zog den Deckel über seinen Kopf. Dann tastete er sich in den dunklen Gang. Im selben Moment hörte er draußen einen kräftigen Schlag. Die Kellertür musste aufgebrochen worden sein. Schritte näherten sich. Ein Schuss peitschte in den Kanal. Leon duckte sich weg und floh tiefer in den stinkenden Tunnel. Das Abwasser reichte ihm bis zum Bauch. Es roch nach Urin und Fäkalien. Er ignorierte das würgende Gefühl in seinem Magen und ging weiter. Der Schacht mündete in ein Rohr, das unter Wasser stand. Jetzt kann ich… jetzt muss ich meine Kiemen nutzen. Hierher folgt mir niemand. Leon stürzte sich in das Rohr und tauchte ab …
    Leon schwamm und tauchte mit überraschten Bisamratten auf. Ihr struppiges Fell stand auf dem Rücken ab. Die Barthaare wackelten. Wo Tiere sind, ist Leben, machte er sich Mut und folgte der Kanalisation. Stunden später fand er einen Schacht, über dem ebenfalls ein Gullideckel lag. Jetzt müsste ich weit genug entfernt sein , hoffte er und blinzelte durch die Streben. Es dämmerte. Über ihm war es still. In der Ferne rauschten Autos und noch etwas anderes. Er lauschte.
    Zisch.
    Wumm.
    Zisch…
    Eine salzige Brise drang in seine Nase. Er hatte das Meer erreicht. Vorsichtshalber wartete er, bis es völlig dunkel war, erst dann drückte er den Deckel hoch und kletterte aus dem Kanal. Er sah sich um. Graue Industrieanlagen aus Stahl und Beton reichten bis zum Wasser. Er befand sich auf einer kleinen Nebenstraße unter einer Betonbrücke. Weit weg von seinem Gefängnis und dem Krankenhaus, wenn er das richtig einschätzte. Er sah an sich herab.
    Ich sehe aus wie eine Bisamratte, und ich stinke wie eine Bisamratte . Ich muss wohl doch noch einmal schwimmen, bevor ich mich unter Menschen trauen kann…
    Das Wasser war eisig. Leon biss die Zähne zusammen und spülte den Dreck ab. Die Erinnerungen blieben, zogen wie schmerzhafte Blitze durch seine Gedanken, quälten ihn wie die Stromstöße, die sie ihm angetan hatten. Dann blickte er auf die raue Ostsee, die im Dunkel der Nacht unwirklich schattengrau schimmerte und dachte an Josi. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Hoffentlich bist wenigstens du ihnen entkommen. Und hoffentlich kann ich dir helfen.
    Leon stieg aus dem Wasser, ließ sich auf die Steine fallen und zog die Schuhe aus. Bevor er die Sohlen herausnahm, schüttete er das Wasser in einem Schwall heraus. Checkkarte, Ausweis und der Schlüsselanhänger für Josi purzelten in den Sand. Josi – ein tiefer Schmerz ging durch seine Brust. Er biss sich auf die Unterlippe bis sie blutete.

 
75
    Samstag, 8. Juni, Kaliningrad:
    Leon gab seine Geheimnummer ein und wartete zitternd vor dem Geldautomaten. Der Schacht öffnete sich und die Scheine schoben sich heraus. Für einen Moment hatte er das Gefühl, er träumte. Sein Konto war nicht gesperrt. Erleichtert griff er das Geld. Selbst wenn die Polizei aus Deutschland morgen wüsste, dass er heute Nacht hier Geld abgehoben hatte, sollte sie ihn erst einmal in Kaliningrad suchen, ging es ihm durch den Kopf. Draußen begann es wieder zu regnen. Er blickte in den Himmel. Ich bin noch immer klatschnass. Nasser kann ich nicht werden , dachte er und zeigte den gestreckten Mittelfinger nach oben.
    Eine weitere Stunde später erreichte Leon, vor Nässe und Kälte zitternd, die Innenstadt. Es ging auf Mitternacht zu, trotzdem waren noch viele Menschen unterwegs: Hunde-, Katzen und Kuh-Chimären, die durch die Straßen hasteten. Überall lag Müll herum: Papier, Dosen, Plastikbecher. Eine Gruppe zerlumpter Kleintier-Chimären schlug die Scheibe eines auf allen Seiten zerbeulten Mercedes ein und riss das Navigationsgerät aus der Konsole. Leon sah an ihnen vorbei und erreichte eine Straße in der auffallend viele junge Frauen standen, überwiegend Katzen-Chimären. Hinter ihnen waren die Fenster in den schmutzigen Häusern rot beleuchtet. Zwei Männer und eine Stier-Chimäre mit kräftigen Hörnern schienen Drogen zu tauschen. In Silberpapier eingeschlagene Päckchen wechselten die Besitzer und verschwanden in den Jackentaschen der Männer.
    Erneut wechselte Leon die Straße und hoffte in eine bessere Gegend zu kommen. Jemand schubste ihn und rief etwas aus zahnlosem Mund auf Russisch. Der Mann hatte tiefe Schatten im eingefallenen Gesicht. An seinen schwankenden Gang erkannte Leon, dass er betrunken war. Schnell hastete er weiter und fand

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