2030 - Chimaerenblut
Arztzimmer neben dem Sportraum. Die platinblonde Russin war wieder mit ihrem Bodyguard da. Auch heute trug sie ein weißes Lederkostüm. Sie sprach mit dem Arzt, der in die Röntgenaufnahmen blickte und den Kopf schüttelte.
»Was ist los«, flüsterte Leon.
Irina senkte den Kopf. »Das Virus stoppt.«
Dann sagte der Arzt etwas zu Ivan und bat ihn offensichtlich zu übersetzen.
»Du nochmal in den Strömungskanal.« Ivan zeigte seine Zähne. »Sie wollen ganz sicher sein.«
»Womit?«
»Dass du keinen Fischschwanz bekjommen . Aber vorher du kjommen in Kernspin. Auf geht es.« Er schob Leon hinaus.
Leon ging in Begleitung von Ivan und Irina. Im Krankenhaus kamen ihnen zwei Weißgekittelte entgegen. Sie schoben ein Metallbett, auf dem ein winziger toter Körper mit einem weißen Laken bedeckt war.
Vor den Untersuchungsräumen warteten wie jeden Tag schwer entstellte Chimären. Apathisch blickten sie zu Boden. Zerstörte, traurige Wesen , dachte Leon. Einst als gesunde Menschen geboren, doch nun durch Viren grausam entstellt. Zwerghamster, Kaninchen oder Schoßhund? Sie waren die Freaks der synthetischen Biologie. Und sie waren Gefangene. Zwei Bewacher achteten darauf, dass sie nicht aufsprangen und davonliefen.
Plötzlich hoben sich ihre Köpfe. Ein Engel erschien und bewegte sanft die Flügel. Das weiße Kleid hing bis zum Boden. Blonde Haare reichten dem Wesen bis zur Hüfte. Die junge Frau war eine Vogel-Chimäre. Ja, sie hatte auf den ersten Blick wie ein Engel auf Leon gewirkt. Ein Engel ohne Arme. Er blickte in ihre klaren, blauen Augen und war erstaunt. Sie lächelte.
Kevin trat hinter ihr in den Flur, flüsterte ihr etwas zu und schob sie zur Seite. Daraufhin ging sie zum Fenster und schaute nach draußen.
»Hast du sie auch entführt? Sie ist noch so jung. Hast du überhaupt kein Gewissen? Wie kannst du nachts noch schlafen?«
»Das verstehst du falsch.« Kevin blickte nervös zu dem Mädchen und dann zu Ivan.
»Sie ist Kundin«, platzte der Russe dazwischen. »Kann sich die Operation leisten. Sie bekommt hier neue Arme.«
Leon schlug sich innerlich vor die Stirn. Natürlich, er war das Versuchskaninchen. So wie die anderen Gefangenen hier. Man entnahm ihnen, was man brauchte. Oder missbrauchte sie für die Versuche.
»Deine Freundin«, fragte er und blickte zu ihr rüber.
»Meine Schwester.«
»Weißt du, was sie mit mir gemacht haben? Weißt du, dass sie mich gestern mit Stromstößen gefoltert haben? Damit mein Adrenalin-Spiegel steigt. Weißt, du dass sie mich fast ertränkt haben? Weißt du von den anderen Gefangenen? Ich habe entführte Kinder gesehen…«
Eine Ärztin öffnete eine Tür, blickte in den Gang und rief » Stoka ?«
Kevin drehte sich weg. »Wir müssen…« Dann ging er zu seiner Schwester, hielt ihr die Tür auf und verschwand in dem Behandlungszimmer.
Ivan zog Leon an den Handschellen mit sich fort.
Auch an diesem Tag blieb Leon die Folter nicht erspart. Zuerst bekam er Stromschläge, dann zwangen sie ihn erneut in den Strömungskanal, ein zwei Meter langer Glaskasten mit einer Umwälzpumpe, die Gegenströmung erzeugte. Er musste tauchen. Wenn er nachließ und die rückwärtige Wand berührte, bekam er einen Schlag. Also schwamm er. Alles war besser als die zusätzliche Folter. Stunden später erschien der Arzt, ließ die Pumpe stoppen und wies Ivan an, ihn aus dem Wasser zu holen. Erschöpft sank er auf den nassen Boden und spürte, dass er keine Luft mehr bekam. Er hob panisch die Arme und fasste sich an den Hals. Doch der war schlagartig wie zugeschnürt.
»Du ein Fisch an Land«, rief Ivan mit dröhnender Stimme und schlug ihm auf den Rücken.
Mit einem kehligen Laut japste Leon nach Luft. Seine Kiemen flatterten.
Der Arzt sagte etwas. Ivan übersetzte. »Du deine Lunge nicht mehr brauchen, dann wir kjönnen sie dir entnehmen.«
In diesem Moment dämmerte Leon, dass er vor Erschöpfung vergessen hatte, mit der Lunge zu atmen.
Wieder nahm ihm der Arzt Blut ab. Vor Leons Augen lag ein milchiger Schleier. In seinen Ohren rauschte es. Seine Arme und Beine fühlten sich so schwer an. War das Virus wirklich gestoppt?
Zwei Stunden später hatte er Gewissheit.
»Das Virus ist gestoppt«, sagte Irina und stellte das Abendessen in die Zelle. Kartoffelbrei mit Bohnen und Speck.
»Wir uns kjummern . Wir dich mehr quälen, damit das Virus weiter arbeitet«, gab Ivan dröhnend von sich. Er drehte sich um und blickte in den Gang. »Du haben Besuch.«
Kevin erschien im
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