2030 - Chimaerenblut
runter.«
Kurze Zeit später riss jemand die Tür auf. »Du musst Leon sein.« Mit breitem Grinsen musterte Wladimir die bunte Jacke, die Leon mit der Schere bearbeitet hatte. »Cooles Hippieteil. In San Franzisco wird das gerade wieder Mode.« Seine hellblauen Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. Dann packte er mit energischem Griff zu und nahm Leon den Rucksack ab. Wladimir sprang die drei Treppen so schnell hoch, dass Leon sich beeilen musste, ihm zu folgen.
Er fragte sich, ob Wladimir auch ein Tier-Gen in den Beinen hatte. Doch wie sich später herausstellte, war Wladimir Landesmeister im Speedskating . Und er lief täglich ein bis zwei Stunden. »Besser schnelle Beine, als ein Nahkampf oder ein Messer im Rücken«, begründete er seine Lust am Laufen und fuhr sich durch die kurzen blonden Haare. Dabei wirkte er wesentlich jünger, als er war. Leon bemerkte Lachfältchen und Stirnfalten. Wladimir musste auf die Vierzig zugehen, doch in den Jeans und dem weißen T-Shirt wirkte er noch immer wie ein Student.
»Was machst du beruflich?«, fragte Leon, während Wladimir eine Schüssel mit dampfenden Nudeln und Tomatensoße auf den Tisch stellte. Leon spürte plötzlich einen Riesenhunger. Nach einer Woche Notration mit Müslistangen und Studentenfutter freute er sich auf die erste warme Mahlzeit.
Wladimir nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Dann begann er zu erzählen, dass er früher Tierarzt werden wollte. Leider habe er es nur bis zum Krankenpfleger gebracht. Er sei in Berlin aufgewachsen und vor drei Jahren nach Polen zurückgekehrt. Er hob die Bierflasche. »Willkommen, Leon.«
Seit der Viren-Katastrophe engagierte sich Wladimir mehr und mehr für den Tierschutz. Und er war seit seiner Kindheit Vegetarier. Geprägt durch seine Mutter, die auch kein Fleisch aß. Wladimir zeigte auf ein vergilbtes Foto, das an der Wand hing. »Meine Mutter war Tänzerin an einem Berliner Theater. Inzwischen wohnt sie auch in Polen und hält sich mit Schneiderarbeiten über Wasser. Sie ist siebzig und lebt in einer Wohngemeinschaft mit zwei Freundinnen.«
In seinem Gesicht lagen Respekt und Achtung. »Ihre Männer haben sich ins Grab gesoffen. Auch mein Vater. Dabei hatte ich noch Glück. Mein Vater war nie gewalttätig, wenn er soff. Er hat einfach nur den ganzen Kummer, die Arbeitslosigkeit und die Härte des Lebens nicht ertragen. Meine Kämpfernatur habe ich jedenfalls nicht von ihm.« Er sah Leon an. »Und deine Eltern?«
Sie redeten bis spät in die Nacht. Wladimir teilte die Wohnung seit kurzem mit seinem Freund. Der Lebensgefährte war jedoch zurzeit in Australien. Das dritte Zimmer war unbewohnt. Dort sollte Leon schlafen. Möbel und Kisten standen zusammengeschoben in einer Ecke. Statt einer Lampe brannte nur eine LED. Ein Bett war mit verblichener Karobettwäsche bezogen.
Am nächsten Morgen suchte Leon vergebens in seinem Rucksack nach dem Ladegerät für seinen NanoC . Wladimir reichte ihm sein Ladegerät, doch die Anschlüsse waren nicht kompatibel.
»Menschen fliegen zum Mars, doch auf der Erde gibt es keine Anschlüsse für so etwas Simples wie einen Standard- NanoC «, fluchte Leon.
Am Abend brachte Wladimir ihm ein Ersatz-Gerät aus der Stadt mit. Leon lud seine Adressen und Mails vom Server und rief Kevin an. Er war sofort in der Leitung, fluchte, und wollte wissen, warum Leon sich erst jetzt meldete. Als er von dem Pech mit dem Ladegerät erfuhr, atmete er hörbar erleichtert aus.
Sie verabredeten sich in einer Kneipe im Stadtzentrum. Wladimir entschied spontan mitzugehen. Er wollte die Aktivisten aus Kevins Gruppe näher kennenlernen. »Immerhin ist er seit einem Jahr dabei. Hat aber noch keine Aktion mit uns durchgezogen. Wir kennen uns kaum.«
»Komisch, vor einer Woche die Aktion am Berliner Zoo, da war Kevin doch dabei?« Leon grübelte.
»Wir wurden uns vor einem Jahr vorgestellt. Und keine Ahnung, ob er auch in Berlin war. In unserer Gruppe waren er und seine Leute jedenfalls nicht. Weißt du wie viele Tierschützer aus ganz Europa da auf den Beinen waren?« Wladimir schüttelte den Kopf. »Ich bin eher überrascht, dass sie dabei waren, immerhin ging es um seltene exotische Tiere und nicht um Nutztiere wie Hühner. Vom Aussterben bedrohte Arten – den Verlust kann man nie wieder gut machen.«
Leon nickte.
Wladimir bohrte weiter. »Warum seid ihr erst eine Woche später nach Warschau gekommen?«
»Kevin hatte noch was vor. In Berlin. Und ich
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