2030 - Chimaerenblut
konnte nicht ohne ihn weg, nachdem ich die Polizei an den Hacken hatte.«
»Verstehe.«
Auf dem Weg zum Treffpunkt zog Wladimir die Stirn kraus. »Das ist keine gute Gegend.«
Einen weiteren Kommentar flüsterte er ihm direkt nach Betreten der Kneipe zu. »Halt deine Kohle fest, hier wimmelt es nur so von Junkies und Dieben.«
Sie fanden Kevin in einer hinteren Ecke. Er saß am Tisch mit zwei jungen Frauen, beide Vogel-Chimären wie Leon bereits von dem Telefonat wusste.
»Das sind Natalia und Justyna«, stellte Kevin die Frauen vor.
Natalia hatte die typischen Bäckchenflecken eines Huhns. Unter dem Kinn bemerkte Leon eine Narbe. Auch ihre Lippen schienen operiert und waren sorgfältig überschminkt. Offensichtlich hatte sie sich einen Schnabel und den Hühnerkamm wegoperieren lassen. Justyna sah auf den ersten Blick nicht wie eine Chimäre aus. Sie hatte blaue Augen und mädchenhafte Gesichtszüge. Neben ihrem Stuhl lehnten Krücken. Sie zog ihre Hand aus der Jackentasche und reichte sie Leon verlegen. Hühnerkrallen. Jetzt erst sah er, dass ihre Füße in kreisrunden Spezialschuhen steckten.
Kevin musste übersetzen. Die Frauen verstanden kein Deutsch. Das Gespräch ging nur mühsam hin und her. Kevin sprach über die Fabrik und dass dort Legehennen gehalten würden. Leon schüttelte den Kopf, das habe man in Berlin auch gedacht. Er müsse in die Fabrik und das selbst überprüfen. Ob die Frauen wüssten, was in Berlin passiert sei. Kevin verneinte und wollte auch nicht übersetzen. Es sei noch zu früh, darüber zu reden. Überhaupt möge Leon seine Zunge hüten, und nicht jedem auf die Nase binden, was in Berlin vorgefallen sei.
Wladimir begann die Frauen auf Polnisch zu befragen. Leon verstand kein Wort, sah aber dass Wladimir des Öfteren die Stirn in nachdenkliche Falten zog. Dann hatte Wladimir plötzlich Zigaretten und ein silbernes Feuerzeug in der Hand, schnappte die Flamme an und aus und erklärte, er wolle eine Kippe rauchen gehen, wobei er Leon scharf in die Augen sah. Die beiden sprangen auf und gingen auf den Hinterhof.
»Woher wusstest du, dass Kevin nicht raucht?«
»Ich weiß, dass auch du nicht rauchst.« Wladimir grinste. »Hier…« Er hielt ihm eine Zigarette hin. »Jetzt rauchst du eine.«
Leon hustete. »Also, was ist so dringend?«
Wladimir räusperte sich. »Die Frauen sind lieb, aber keine Aktivisten. Mach nicht denselben Fehler wie in Berlin.«
»Wie meinst du das?«
»Du solltest nicht mit diesen Leuten in der Fabrik einbrechen.«
»Warum nicht?«
»Die Mädels sind noch keine achtzehn, ich habe sie gefragt.«
»Verdammt.«
»Wenn es wirklich um illegale Chimären-Forschung an Tieren geht und das Virus stark genug war, um auf dich überzuspringen, dann habt ihr es mit einem Kaliber zu tun, das ihr nicht mit drei Anfängern auseinander nehmt.«
»Aber ich muss dort rein, um Beweise für meine Unschuld zu finden. Notfalls mache ich es alleine.«
»Vielleicht kannst du dir die Zugangskarte eines Arbeiters borgen und seine Schicht übernehmen, um dich da unauffällig umzusehen. Aber mach’ es nicht mit diesen Halbwüchsigen.«
»Und Kevin? Der ist doch schon um die dreißig und scheint zu wissen, was er tut…«
Wladimir wollte etwas sagen, doch plötzlich drang Lärm aus der Kneipe zu ihnen herüber. Sie hörten Schreie, tiefe Stimmen die Befehle riefen und dann das aggressive Gebell von Hunden.
»Wir müssen sofort verschwinden. Die Polizei macht eine Drogenrazzia«, rief Wladimir und rannte Richtung Zaun. Der Hinterhof war mit einem zwei Meter hohen Maschendrahtzaun umspannt. Leon sprang mit einem Satz auf einen Betonpfosten und zog Wladimir zu sich rauf. Sie ließen sich auf der anderen Seite ins Gras fallen, rannten geduckt über einen Hinterhof und tauchten einen Block später wieder auf der Straße auf.
»Muss ich mir Sorgen um Kevin, Natalia und Justyna machen?« fragte Leon, als sie wieder in Wladimirs Wohnung saßen.
Wladimir schüttelte den Kopf. »Wenn sie clean sind, dann nicht. Ich bin aktenkundig. Mir hängen sie immer gerne was an. Radikaler Tierschützer und so. Da ist es besser, sie erwischen mich gar nicht erst.«
»Verstehe. Du hast wohl schon einiges hinter dir.«
»Kann man so sehen.«
Wladimir öffnete eine Flasche Rotwein. »Freunde haben diesen edlen Tropfen aus Frankreich mitgebracht. Das Leben könnte jeden Tag zu Ende sein, das wird mir in letzter Zeit immer öfter bewusst. Also sollten wir den Wein jetzt trinken.«
Leon spürte
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