206 - Unterirdisch
einiges gewohnt von Arah, aber es war das erste Mal, dass sie Carah so hart anging.
Die Weise verzog keine Miene. Sie verschränkte die Arme und erwiderte Arahs Blick. »Ich bin die Stadtführerin! Und ich habe in dieser Sache das letzte Wort!«
Die Priesterin sprang auf. »Du kennst die Überlieferungen, Carah! Du weißt, dass ein unterirdisches Tunnelsystem den Tempel mit dem Athi verbindet! Es ist der Wille der Göttin, die alte Verbindung zwischen Erde und Wasser wiederherzustellen! Wir dürfen keinen einzigen Tag mehr verstreichen lassen! Wir müssen mit der Ausgrabung des Tempels sofort beginnen!« Herausfordernd blickte sie Carah an.
Die Stadtführerin schüttelte den Kopf. »Ich bleibe dabei: Weder Woorms noch Enkaari sind im Augenblick entbehrlich. Lass uns später über eine Ausgrabung sprechen!«
Arahs Lippen waren nur noch eine dünne Linie. Sie riss ihren Umhang vom Stuhl. »Du bringst den Zorn Athikayas über die Enkaari!«, rief sie Carah im Weggehen zu.
***
Das Gekreische im Urwald setzte kurz vor Sonnenaufgang wieder ein. Matt und Rulfan packten ihre Sachen zusammen und verstauten sie auf dem Rücksitz des Roulers. Das Feuer in der Brennkammer loderte bereits, und der Kessel stand unter Dampf.
Die drei halbnackten Jäger standen dreißig Schritte entfernt im Unterholz. Aus dieser sicheren Distanz beobachteten sie den Aufbruch der Weißen. Misstrauen und Furcht spiegelten sich in ihren Zügen, während sie die Kettenschuhe des Roulers, seinen Schornstein und seine Blechkarosserie belauerten. Als würden sie ein fremdes Tier beobachten, dessen Angriff sie jeden Moment erwarteten.
Matt hatte sie herangewinkt, um sich die Maschine genauer anzusehen, doch kaum hatten sie das Schlangenleder der Sitze unter dem verbeulten Wellblechdach entdeckt, waren sie wieder zurückgewichen. Sie hielten den Rouler allen Ernstes für eine verzauberte Riesenschlange.
Chira sprang auf die Rückbank, Matt öffnete die Ventile.
Der Rouler machte einen Satz vorwärts, die Ketten pflügten durch das Ufergras. Die Jäger schrien auf, fuhren herum und verschwanden unter dem tief hängenden Geäst der Urwaldriesen im Unterholz. Umsonst riefen und winkten ihnen Matt und Rulfan hinterher. Sie sollten sie nie wieder sehen.
Am Flussufer entlang steuerte Rulfan den Dampfrouler durch den Urwald nach Westen. Gegen Mittag wurde der Wald dichter, und der Schornstein ihres Fahrzeugs stieß immer häufiger gegen Äste oder verfing sich in Lianen. Sie stoppten, berieten das Problem und machten sich an die Arbeit. In einer zweistündigen Aktion gelang es ihnen, den Schornstein nach hinten zu krümmen. Danach kamen sie besser voran.
Gegen Abend stellte Matt fest, dass sie auf einem südwestlichen Kurs fuhren: Der Flusslauf beschrieb eine weite Biegung, das entsprach auch der Kartenskizze – eine Bestätigung, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
Bei Sonnenuntergang stieg Rulfan auf einen Urwaldriesen.
Vögel, Insekten und kleine affenartige Kreaturen flohen lärmend durch das Geäst. Vom Wipfel des Baumes aus bot sich ihm ein Bild von wilder Schönheit: Das Dschungeldach breitete sich nach allen Seiten bis zum Horizont aus, nur im Westen ragten Berggipfel aus dem schier endlosen Grün.
Scharf zeichneten sich die Konturen der Berge vor einem roten Abendhimmel ab. Die Sonne war schon hinter ihnen verschwunden.
»Morgen schaffen wir es bis zum Gebirge!«, rief Rulfan, während er wieder zu Matt und Chira hinab stieg.
»Dann müssten wir übermorgen das Hochland von Nairobi erreichen«, antwortete Matt.
Als ihr Lagerfeuer brannte, verstummte der Lärm des meist unsichtbaren Dschungellebens um sie herum. Wieder gab es Fisch, wieder bewachte Chira ihren Schlaf, und wieder weckte sie im Morgengrauen das lärmende Konzert der Dschungelbewohner.
Der folgende Reisetag verlief in der schon gewohnten Routine. Kilometer um Kilometer pflügte das Dampfgefährt zuverlässig durch Wald, Uferböschung und seichtes Uferwasser. Das Gelände stieg an, der Flusslauf verengte sich, das Wasser strömte schneller und der Boden wurde felsiger.
Manchmal begleiteten kleine affenartige Tiere den Rouler eine Zeitlang mit viel Geschrei durch die Baumkronen entlang des Flusses. Ein paar Mal geschah es, dass sich langbeinige Vögel ein paar Dutzend Meter vor ihnen aus dem Uferwasser in die Luft schwangen, Fischjäger mit langen spitzen Schnäbeln und leuchtend rotem Gefieder.
Einmal, als der Wald sich lichtete, sahen sie einen Felshang und auf seinem
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