Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
206 - Unterirdisch

206 - Unterirdisch

Titel: 206 - Unterirdisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn und Jo Zybell
Vom Netzwerk:
Dafür hörte Rulfan hinter sich Maddrax seufzen.
    »Was ist mit dir, Rulfan? Warum schläfst du nicht?« Die Stimme des Gefährten klang schleppend und benommen.
    »Wir haben Besuch, mein Freund, steh schon auf.« Ohne den Säbel zu senken, schritt Rulfan den Hang hinunter.
    Langsam, aber ohne zu zögern ging er auf den Fremden zu.
    Der rührte sich nicht. Zwischen Büschen und Dunstschwaden verharrte er, als wäre er selbst weiter nichts als ein Schemen aus Dunst. Und tatsächlich – sah er nicht aus wie ein Phantom?
    Wie ein schemenhaftes Gebilde, das der Nachtwind zufällig zu einer menschlichen Gestalt geformt hatte?
    Rulfan blieb stehen. Aus schmalen Augen belauerte er die kaum noch zwanzig Schritte entfernte Gestalt. Einer der Nomadenjäger, sicher, so hatte er auf den ersten Blick ausgesehen. Doch auf den zweiten war seine Haut nicht halb so dunkel. Und warum wirkten die Konturen seines Kraushaares und seiner Mimik so seltsam verschwommen? Rulfan fröstelte.
    Seine Nackenhaare richteten sich auf, und plötzlich glaubte er zu verstehen, warum Chira die Gestalt nicht angegriffen hatte.
    Noch während er diesen Gedanken dachte, erkannte er drei, vier – nein: fünf dunkelgraue, seltsam verwaschene Gestalten von kleinen Nomadenjägern zwischen den Büschen und den Dunstschwaden. »Bei Wudan…«, murmelte er und wich einen Schritt zurück.
    »Was ist los, Rulfan?«, hörte er Maddrax hinter sich sagen.
    »Ich komme sofort.« Der Albino hörte Kleiderstoff rascheln, er hörte Chira knurren und zweifelte an seinen Sinnen. »Was für einen Besuch meinst du?«, fragte Matt.
    »Bleib liegen.« Rulfan ließ den Säbel sinken, schloss die Augen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Nur eine Erscheinung. Ich glaub, ich habe Fieber. Ich sehe schon Gespenster.«
    »Du musst was trinken.« Matts Stimme drang wie aus einer anderen Welt an sein Ohr. »Hoffentlich hast du dir keine Blutvergiftung zugezogen! Wir müssen unbedingt ein fiebersenkendes Kraut finden…«
    »Es geht schon.« Rulfan riss die Augen auf. Sieben oder acht Gestalten bewegten sich zwischen den Büschen im hohen Gras und im Morgendunst. »Alles nur Einbildung.« Sie stelzten Hang aufwärts, kamen auf ihn zu. »Verdammt, ich träume im Stehen…«
    Plötzlich tauchte unmittelbar vor ihm eine zierliche Gestalt aus dem Gras auf. Sie hob einen Knüppel, holte aus, schleuderte ihn auf Rulfan.
    Das Holz traf ihn im entzündeten Gesicht. Er schrie auf und begriff, dass er keineswegs nur Gespenster sah.
    ***
    Barah saß am Feuer vor dem Ratshaus. Sie hatte das Zimmer, das sie sich mit Jarin teilte, verlassen und war nach draußen gegangen. Die Wächterin freute sich über die Ablösung und verschwand in dem terrassenförmigen Bau.
    Eingehüllt in einen dunklen Umhang aus Wakudafell stocherte Barah mit einem Stock in der Glut des Feuers. Die Bilder des vergangenen Tages spukten in ihrem Kopf herum: der Absturz von Gjorgis und Zgeweni in die Erdspalte, Spenzas Kampf mit dem Mochokida und die Auseinandersetzung von Carah und Arah.
    Nachdem Arah die Versammlung verlassen hatte, herrschte eine bedrückte Stimmung. Carah trieb die Planung für die Aufräumungsarbeiten voran. Außerdem sollte Barah mit einigen Jägerinnen nach dem Bautrupp suchen, der die Bahngleise im Westen wieder herstellte.
    Es wurde dringend neues Baumaterial gebraucht.
    Nach den letzten Meldungen befand sich Jamila, die den Trupp leitete, in der Nähe des Riftvallejs. Barah sollte dafür sorgen, dass der Traijn mit Material beladen so schnell wie möglich nach Nyaroby zurückkehrte. Mit dieser Anweisung beendete die Stadtführerin die Versammlung. Eine Diskussion über die Tempelgrabung ließ sie nicht mehr zu.
    Barah seufzte. Ein steter Wind blies die Kälte der Nacht durch die offenen Falten ihres Fellumhangs. Sie zog ihn fester um die Schultern. Auch jetzt noch gingen ihr die Worte der Priesterin nicht aus dem Sinn: »Du bringst den Zorn Athikayas über die Enkaari!« Hatte Arah Recht? Sollten die Enkaari zunächst den Willen der Göttin erfüllen, bevor sie sich um ihre eigenen Belange kümmerten? Schließlich war es das zweite Erdbeben innerhalb kurzer Zeit gewesen. Kein Zweifel: Ngaai war erzürnt! Und die Enkaari waren auf Athikaya, ihre Schutzgöttin, mehr denn je angewiesen. Wenn dieser Tempel das Tor zu dem unterirdischen System war, das zum Fluss führte, so konnte das Volk tatsächlich die alte Verbindung zwischen Erde und Wasser wieder herstellen: die alte Verbindung

Weitere Kostenlose Bücher