2074 - Neun Tage des Zitterns
beschränken." Einige Rampen führten zu Eingängen in die riesige Kuppelhalle. Die Tore waren weit geöffnet, die Hauptgänge durch hüfthohe Energieschirme abgesperrt, so dass kein Besucher die Sesselreihen betreten oder die Quergänge verlassen konnte.
Lorts und Kelterom wählten den kürzeren Mittelgang im hinteren Drittel der Sitzarena und bewunderten die Ausstattung des Hanischen Palasts und die gewaltige Bühne. Sie ragte weit in den Zuschauerraum hinein. „Einlösbare Versprechen!"- Kelteroms Lachen klang sarkastisch. „Damit schafft Ihr Euch Freunde!" uni Mittag, nachdem sie einen großen Teil des alten Bezirks im Inselnorden gesehen und sich die Lage aller wichtigen Gebäude gemerkt hatten, betätigte Kelterom das Signal an der Gangway und betrat über die federnde Planke die ZEUTAN. Eine halbe Tonta nach ihnen kam Durren; sie hatte den genauen Zeitpunkt der Audienz erfahren.
Der runde Platz vor dem Palasteingang, gesäumt von Imperator-Statuen und wachstumsreduzierten Bäumen mit kugeligen Kronen, war für Gleiteranfahrten geeignet. Eine Treppe, von zwei weißen Rampen umgeben, führte in Auriannes Palast, die andere zu den besten und teuersten Plätzen innerhalb des Kristalldoms. Das geräumige Ferienhaus, ungefähr auf gleicher Höhe mit dem Scheitelpunkt der Kristallkuppel, hoch über dem Hafen und mit Blick auf einen Teil von Auriannes Palast, war als Beobachtungspunkt hervorragend. Das hatte Kelterom nicht anders erwartet. Aber weder das freie Schussfeld noch der einmalige Blick über das Zentrum der Besucheraktivitäten rechtfertigte den Umzug von der Yacht. Die bevorstehende Auseinandersetzung würde an anderen Stellen stattfinden. Ein Drittel der Nacht hatte Kelterom damit verbracht, zusammen mit Durren und Pergader aus der Steuerkabine der Yacht mit den USO-Spezialisten in ihren Verstecken zu kommunizieren. Deren Beobachtungen deckten sich mit den ersten Überlegungen des USO-Teams: Auffällig viele Celistas, teilweise in völliger Offenheit, hatten sich unter die Besucher gemischt und sicherten die Insel der Dienenden vor möglichen Anschlägen oder weniger gefährlichen Zwischenfällen.
Zwischen Kelterom und ter Royah ging Durren ter Uchat, elegant, aber wenig auffallend gekleidet, auf der Rampe zum Palasteingang. Die Schatten der Nachmittagssonne lagen schwarz auf dem kristallenen Material. Eine Uferbrise raschelte mit Abfall und welken Blättern, die über den Platz kreiselten. Zwischen den Säulen und unter dem Vordach staute sich die Hitze. Eine halb transparente Glassitscheibe zog sich vor den Ankömmlingen zurück, und zwei ältere Dryhaninnen standen hinter einem Pult auf. „Ter Royah, Champac und ter Uchat", sagte Durren. „Die würdige Vollkommene Dienerin will uns empfangen."
„Ich bringe euch zu ihr." Eine Dryhanin kam auf sie zu, deutete einladend und mit einer Verbeugung zu einem altertümlichen halbmechanischen Lift, der wie eine orchideenartige Blume geformt war; zweifellos das uralte Meisterwerk eines dryhanischen Kunstschmiedes. Die Kabine brachte die Besucher und die zierliche Führerin in einer Glasröhre nach oben, ein Stück waagrecht, in einer Spirale aufwärts und nach einigen verwirrenden Manövern auf einen Treppenabsatz, der die Stirnseite einer kleinen, kühlen Halle einnahm. Die weißhaarige Frau, ebenso scheinbar frühzeitig gealtert wie alle Dryhanen, starrte Lorts ter Royah unverwandt an, wie eine seltsame Erscheinung, bewegte sich aber nicht. Das Rankenwerk eines Sicherheitsschirms löste sich geräuschlos auf, und die Dryhanin trippelte vor ihnen her bis zu einer Wand aus bernsteinfarbenem Glas. Kelterom entdeckte in den Längswänden der Halle Dutzende großer Nischen, in denen Köpfe und Brustbilder aus bläulich glimmendem Material standen.
Eine Doppeltür schwang auf, die Dryhanin sagte: „Aurianne da Ithaba erwartet euch auf der Terrasse."
„Danke, Schwester." Durren schenkte der Dryhanin, die ihr knapp bis zur Brust reichte, ihr schönstes Lächeln. Aus dem kühlen Halbdunkel der Halle gingen die Besucher auf eine geräumige Terrasse hinaus, über die ein goldgelber Schattenschirm projiziert war. Schillernde Insekten mit blitzenden Flügeln summten über den Blumenkelchen an der Brüstung. Neben einer schwebenden Steinplatte, die als Arbeitstisch diente, stand die Vollkommene Dienerin. Sie trug das Kleid der Priesterin, in dem sie meist abgebildet war: ein weites Hemd aus hauchdünnem weißem Stoff, das bis zu den Knien reichte und von einem
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