2084 - Noras Welt (German Edition)
in alle Ewigkeit dort stehen. Alle Wörter und Bilder aus ihrer Zeit würden in der Elektrosphäre hängen bleiben.
Die armen Nachgeborenen, dachte Nora. Wegen der Gedankenlosigkeit und des Egoismus früherer Generationen würden sie sich nicht nur mit dem Leben auf einem verarmten Planeten abfinden müssen – zu allem Überfluss blieben ihnen auch noch die Warnungen vor einem solchen Leben erhalten. »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, und das muss selbstverständlich die nächste Generation mit einbeziehen …« Kein Wunder, dass es die Nachgeborenen empörte, wenn sie mahnende Worte aus einer fernen Vergangenheit lesen und zugleich einsehen mussten, dass es längst zu spät war, noch irgendetwas am Lauf der Dinge zu ändern.
Und das war immer noch nicht alles. Nova hatte im Netz ja noch einen zweiten Artikel gefunden. Nora blätterte in den Ausdrucken und Ausschnitten aus dem Was-muss-getan-werden -Kartonund fand bald das Richtige.
Das Klimaproblem und die Probleme, die mit der Bedrohung der biologischen Vielfalt einhergehen, haben letztendlich alle mit der Gier des Menschen zu tun. Nur finden die Gierigen ihre Gier normalerweise nicht problematisch. Dafür gibt es genügend historische Beispiele.
Wenn wir dem Prinzip der Gegenseitigkeit folgten, dürften wir nicht nachwachsende Rohstoffe nur dann verwenden, wenn wir zugleich dafür sorgen, dass unsere Nachfahren ohne diese Rohstoffe auskommen können.
Ethische Fragen sind gar nicht so schwer zu beantworten, wie man immer denkt; was uns schwerfällt, ist, den Antworten entsprechend zu leben.
Ich sehe unsere verzweifelten Enkel und Urenkel schon vor mir – sie trauern nicht nur über den Verlust von Rohstoffen wie Gas und Öl, sondern auch über den Verlust der biologischen Vielfalt. Ihr habt alles selbst verbraucht!, höre ich sie rufen. Ihr habt nichts für uns übrig gelassen!
»Ihr habt alles selbst verbraucht …«
Voller Unruhe war Nora aus ihrem Traum erwacht, und noch immer ließ sie der Traum nicht los. Wenn es doch nur ein Traum gewesen wäre …
Sie musste an Jonas denken. Sie hatte versprochen, ihn gleich, wenn sie wach war, anzurufen. Aber er musste warten. Sie musste versuchen, sich noch besser an ihren Traum zu erinnern, und jetzt fiel ihr ein weiteres Detail ein: Nova war in ihrem Zimmer hin und her gelaufen und hatte sich etwas angehört.
Nora wusste jetzt, was es war, sie kannte den Text. Irgendwo in ihren Kartons musste ein Ausdruck davon stecken. Aber wo? Sie suchte in beiden Kartons, konnte ihn aber nicht finden. Hatte sie vergessen, ihn wieder in den Karton zu legen, nachdem sie ihn gelesen hatte? Und wenn ja, gab es einen Grund, weshalb sie gerade diesen Text nicht wieder in den Karton gelegt hatte? Plötzlich dämmerte ihr etwas, und wenig später zog sie ein altes Buch aus dem Regal: Arabian Nights, eine englische Ausgabe von Tausendundeine Nacht. Sie hatte darin etwas nachschlagen wollen und den Text, den sie suchte, als Lesezeichen benutzt.
Wir leben in jeder Hinsicht in einer einzigartigen Zeit. Wir gehören einerseits der Generation an, die im Triumph das Universum erforscht und das menschliche Genom beschreibt – und wir sind andererseits die erste Generation, die endgültig die Umwelt auf unserem Planeten vernichtet. Wir sehen, wie die Aktivitäten der Menschen Rohstoffe aufzehren und Ökosysteme zugrunde gehen lassen. Wir verändern unsere Umwelt so sehr, dass wir die Zeit, in der wir leben, als neue geologische Epoche bezeichnen können: das Anthropozän .
In Pflanzen und Tieren, im Meer und in Öl, Kohle und Gas stecken riesige Kohlenstoffvorräte, deren Bestreben es ist, zu oxidieren und in die Atmosphäre zu entweichen. Auf einem toten Planeten wie der Venus besteht fast die gesamte Atmosphäre aus CO 2 , und genauso wäre es auch hier bei uns, wenn nicht die Erdprozesse den Kohlenstoff in seine Schranken wiesen. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aber haben uns die Vorräte an fossilen Brennstoffen in Versuchung geführt wie der Geist in Aladins Lampe. »Lass uns raus!«, hat der Kohlenstoff geflüstert, und wir sind der Versuchung erlegen. Jetzt versuchen wir, den Geist in die Lampe zurückzuzwingen.
Wenn wir alles, was auf unserem Planeten noch an Öl, Kohle und Gas vorhanden ist, erschließen und das CO 2 daraus in die Atmosphäre entlassen, wird unsere Zivilisation vielleicht nicht überleben. Dennoch halten viele Nationen es für ihr gottgegebenes Recht, alle fossilen Brennstoffe auf ihrem
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