21 - Die achte Flotte
tonlos, »das ist es nicht, Admiral Henke. Und nicht nur, weil die Ajax dein Schiff ist. Es sind noch siebenhundertfünfzig andere Männer und Frauen an Bord.«
Michelle wollte erneut widersprechen, doch dann hielt sie inne, holte tief Luft und nickte. Es gefiel ihr noch immer nicht, sie vermutete, dass Honors Freundschaft ihr Urteilsvermögen trübte. Doch es war genauso möglich, dass eben diese Freundschaft ihr eigenes, Michelles, Urteilsvermögen beeinträchtigte, und Honor hatte völlig recht damit, wie viele Menschen an Bord der Ajax noch in Lebensgefahr schwebten.
»Wenn die Haveniten sehen, dass unsere Beschleunigung fällt, werden sie annehmen, dass die Imperator genügend schweren Impellerschaden erlitten hat, um den Rest des Kampfverbands zu verlangsamen, und danach handeln«, fuhr Honor fort. »Bandit-Drei sollte uns auf dieser Grundlage verfolgen. Wenn du den Heckimpellerring innerhalb der nächsten fünfundvierzig Minuten bis einer Stunde wieder in Gang bekommst, solltest du dich von Bandit-Zwo fernhalten können, und Bandit-Eins ist mittlerweile nur noch Schrott. Aber wenn du ihn nicht in Gang bekommst …«
»Wenn wir ihn nicht in Gang bekommen, können wir auch nicht in den Hyperraum«, unterbrach Michelle sie. »Ich glaube, das ist das Beste, was wir tun können, Honor. Danke.«
Honor presste die Lippen zusammen, aber sie nickte.
»Richte Beth meine besten Wünsche aus, für alle Fälle«, fügte Michelle hinzu.
»Das kannst du selber machen«, versetzte Honor.
»Mach ich auch«, entgegnete Michelle. Sanfter sagte sie: »Pass auf dich auf, Honor.«
»Gott segne dich, Mike«, antwortete Honor leise. »Ende.«
»Ma’am, Commander Horn möchte Sie sprechen«, sagte Lieutenant Kaminski. Commander Manfredi war ins Lazarett geschafft worden, und der Signaloffizier hatte Manfredis Aufgaben als Stabschef übernommen. Zwar war er längst nicht der ranghöchste Offizier des Stabes, der noch stehen konnte, aber seine Ressortaufgaben ließen ihm im Augenblick, unter den gegebenen Umständen, die meiste Zeit − und es war nicht so, als hätte Michelle weiterhin ein Geschwader, für das man einen Stabssignaloffizier benötigte.
»Danke, AI«, sagte sie und wandte sich rasch ihrem Combildschirm zu, als dort ein Gesicht erschien.
Commander Alexandra Horn war eine stämmige, grauäugige Frau mit kurz geschnittenem brünettem Haar. Sie hatte als Erster Offizier von HMS Ajax fungiert, bis der Tod Captain Diego Mikhailovs und sämtlicher Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften auf dem Kommandodeck es änderte: Nun war sie Kommandantin des Schiffes, und Henke sah hinter ihr die Ersatz-Kommandocrew im Hilfskontrollraum des Schlachtkreuzers. Er lag am der normalen Brücke entgegengesetzten Ende des Rumpfkerns der Ajax. Die Leute saßen über ihre Pulte gebeugt und arbeiteten hektisch.
»Ja, Alex?«
Horns Stimme war rau, die Wangen hohl vor Anspannung und Müdigkeit. »Admiral, ich glaube, es ist an der Zeit, jeden zu evakuieren, der Zugriff auf eine Rettungskapsel hat.«
Michelle spürte, wie ihre Miene zu einer Maske gerann, doch es gelang ihr, fast im Konversationston zu erwidern.
»Ist es also so schlimm?«
»Vielleicht ist es sogar schlimmer, Ma’am.« Horn rieb sich kurz die Augen, dann sah sie aus dem Display Michelle an. »Es sind einfach zu viele Trümmer im Weg. Gott allein weiß, wie alle vier Schienen noch arbeiten können, denn wir haben an wenigstens vier Stellen Lecks, die bis in den Raketenkern reichen. Vielleicht sind es auch sechs. Commander Tigh vermag noch immer nicht zu sagen, wo die Steuerleitungen unterbrochen sind, und schon gar nicht, wann er den Ring vielleicht wieder in Funktion setzen kann.«
Na, das ist doch eine ziemlich emphatische Antwort auf die große Zerbrechlichkeitsdebatte, oder, Mike?, fragte eine leise Stimme in Michelles Hinterkopf. Unter den gegebenen Umständen ist es ein Wunder, wieso wir nicht gleich zusammen mit der Patrocles und der Priamos hochgegangen sind. Wie hat Honor das noch ausgedrückt?
»Mit Vorschlaghämmern bewaffnete Eierschalen«, oder? Natürlich sprach sie damals von LACs und nicht von Schlachtkreuzern, aber trotzdem …
Sie sah Horn an, während ihre Gedanken eilig den gleichen Logikbäumen folgten, die die Kommandantin bereits abgearbeitet haben musste. Lieutenant Commander William Tigh war der Leitende Ingenieur der Ajax, und Michelle wusste, dass er und seine Reparaturmannschaften im Moment auf der hektischen Suche nach dem
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