21 - Die achte Flotte
Flagge in mancherlei Hinsicht eher wie ein angesehener Schullehrer oder vielleicht ein erfolgreicher Bankbürokrat aussah als wie ein Raumoffizier. Und in gewisser Weise war er auch ein Bürokrat − aber ein sehr wichtiger Bürokrat: der Fünfte Raumlord der Royal Manticoran Navy und Befehlshaber des Bureaus für Personal. Seine Aufgabe bestand darin, den niemals nachlassenden Hunger der wie irrwitzig sich vergrößernden und brutal überlasteten Flotte zu stillen, und niemand, Michelle eingeschlossen, wusste genau zu sagen, wie er das schon lange so gut schaffte. Im Vorkriegssystem, nach dem höhere Offiziere regelmäßig zwischen Flottenkommandos und Schreibtischposten wechselten, damit sie in jeder Hinsicht auf dem Laufenden blieben, wäre Cortez schon lange von seinem Posten abgelöst worden. Niemand, der bei Verstand war, hätte jedoch vorgeschlagen, ihn unter Kriegsbedingungen durch jemand anderen ersetzen zu wollen.
Cortez erhob sich und begrüßte Michelle mit einem Lächeln. Über den Schreibtisch hinweg reichte er ihr die Hand, während der andere Mann, ein Commander mit den Abzeichen des Judge Advocate’s Corps, der am Couchtisch des Büros gesessen hatte, ebenfalls aufstand.
»Guten Morgen, Mylord«, antwortete Michelle auf Cortez’ Begrüßung und drückte ihm fest die Hand. Dann sah sie mit erhobener Augenbraue höflich auf den Commander, und Cortez lächelte.
»Nein, Sie werden keinen Rechtsbeistand benötigen, Mylord«, versicherte er ihr. »Das ist Commander Hal Roach, und er ist tatsächlich Ihretwegen hier, aber nicht wegen etwas, das Sie getan hätten. Es sei denn natürlich, Sie haben Gründe für ein schlechtes Gewissen, von denen ich nichts ahne?«
»Mylord, mein Gewissen ist so rein wie frisch gefallener Schnee«, erwiderte sie und reichte Roach die Hand. Der Commander lächelte freundlich, während er sie ergriff. Er war ein stämmig gebauter Bursche mit dunklem Haar, und Michelle schätzte ihn auf Mitte vierzig.
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mylady«, versicherte er ihr.
»Ein Anwalt und auch noch taktvoll«, stellte Michelle fest und nickte Lieutenant Archer zu. »Mylord, Commander, das ist Gervais Archer, mein Flaggleutnant.«
»Lieutenant«, sagte Cortez, begrüßte ihn mit einem weiteren Nicken und wies auf die Sessel vor seinem Schreibtisch.
»Bitte«, sagte er. »Setzen Sie sich. Beide.«
»Danke, Mylord«, murmelte Michelle und ließ sich auf den angebotenen Sessel nieder. Mit dem unfehlbaren Instinkt eines subalternen Offiziers setzte Archer sich auf einen anderen, der ein kleines Stück zurückversetzt links von Michelles Sessel stand, und Roach nahm wieder auf seinem Sessel Platz, nachdem Cortez sich ebenfalls wieder hingesetzt hatte. Der Fünfte Raumlord lehnte sich leicht zurück, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Michelle aus klugen, tief liegenden dunklen Augen.
»Wie ich höre, sind Sie Captain Shaw gehörig auf die Nerven gegangen, Mylady«, sagte er.
»Ich würde es kaum ›auf die Nerven gehen‹ nennen, Mylord«, erwiderte sie. »Ich habe einmal, vielleicht zwomal Kontakt mit dem Captain aufgenommen.«
Captain Terrence Shaw war Cortez’ Stabschef, sodass er in BuPers derjenige war, den man ansprechen musste, wenn man etwas wollte.
»Captain Shaw nannte es anders«, erwiderte Cortez augenzwinkernd. »Andererseits, Mylady, erscheinen sieben Anrufe in acht Tagen doch ein wenig … energisch.«
»Habe ich ihn wirklich so oft angerufen?« Michelle blinzelte, aufrichtig überrascht von der Gesamtzahl, und Cortez schnaubte.
»Jawohl, Mylady. Das haben Sie. Man sollte fast meinen, dass Sie es eilig haben, wieder ins All zu kommen. Während Ihres Genesungsurlaubs sollten Sie eigentlich Besseres zu tun haben.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht, Mylord«, räumte Michelle ein. »Allerdings war ich so lange gar nicht fort, und es war nicht schwierig, meine Angelegenheiten zu ordnen, nachdem ich wieder zu Hause war. Und« − ein Lächeln erweichte ihren Gesichtsausdruck − »ich habe es rechtzeitig geschafft, um das mitzuerleben, was ich wirklich miterleben wollte.«
»Die Geburt von Lady Alexander-Harringtons Sohn, Mylady?«, fragte Cortez in einem um einiges sanfteren Ton.
»Ja.« Michelles Nasenflügel blähten sich, als sie sich an den Augenblick erinnerte, erneut Honors grenzenloses Glück vor sich sah und ihre eigene Freude noch einmal erlebte, die sie empfunden hatte, als sie das Ereignis mit ihrer besten Freundin
Weitere Kostenlose Bücher