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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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an Marah Durimeh in mir auf. O du liebe, du holde, du süße – – –!
    Doch ehe ich den Namen nenne, muß ich ein Wort über sie sagen, die jetzt vor mir stand:
    Es war an dem Tag, an welchem ich, wie bereits erwähnt, dann des Nachts hinauf zur Höhle stieg, um den geheimnisvollen ‚Geist der Höhle‘ kennenzulernen. Ich war gefangen und wurde nach einer steinernen Hütte geschafft, welche nahe dem Dorfe Schohrd in einer wilden Schlucht gelegen war. Im Innern derselben band man mich an einen Pfahl. Eine alte Frau hatte mich zu bewachen. Sie hieß Madana; ich habe sie in meinem damaligen Berichte folgendermaßen beschrieben:
    Madana heißt auf deutsch ‚Petersilie‘. Wie die Alte zu diesem würzigen Namen gekommen war, weiß ich nicht; aber als sie jetzt ganz nahe vor mir stand, duftete sie nicht nur nach Petersilie, sondern es entströmte ihr eine Atmosphäre, welche aus den Gerüchen von Knoblauch, faulen Fischen, toten Ratten, Seifenwasser und verbranntem Hering zusammengesetzt zu sein schien. Gekleidet war diese schöne Bewohnerin des Zabtales in einen kurzen Rock, den man bei uns wohl kaum als Scheuerlappen hätte benutzen mögen; der Rand desselben reichte nur bis wenig über die Knie herab und ließ ein Paar gespenstige Gehwerkzeuge sehen, deren Anblick zu der Vermutung führte, daß sie bereits seit langen Jahren nicht mehr gewaschen worden seien – – – In meiner Nähe erblickte ich neben einem gefüllten Wassernapf einen großen Scherben, der früher wohl einmal zu einem Krug gehört hatte, jetzt aber als Schüssel benützt wurde und eine Masse enthielt, welche halb aus Tischlerleim und halb aus Regenwürmern oder Blutegeln zu bestehen schien – – – Später als ich mit der Alten allein war, wurde ich von ihr gefragt:
    „Willst du essen?“
    „Nein“, antwortete ich voller Grauen.
    „Trinken?“
    „Nein.“
    Da kam die duftende Petersilie herbeigekrochen, ließ sich in der Nähe meiner armen Nase häuslich nieder und nahm dann den von mir verschmähten Scherben auf ihren Schoß. Ich sah, daß sie mit allen fünf Fingern der rechten Hand in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den zahnlosen Mund wie eine schwarzlederne Reisetasche auseinanderklappte – ich schloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatsch; sodann vernahm ich jenes sanfte, zärtliche Streichen, welches entsteht, wenn die Zunge als Wischtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menschenseele kam. O Petersilie, du Würze des Lebens, warum duftest du nicht draußen im Freien – – –!
    Man denke ja nicht, daß die Seele dieser alten Kurdin ihrem Äußeren geglichen habe! Madana war ganz im Gegenteil ein herzensbraves gutes Menschenkind. Sie erleichterte mir meine Lage nach Kräften, und als ich dann wieder frei war, hatte sie mich so lieb gewonnen, daß sie beim Scheiden mit den Worten von mir Abschied nahm:
    „Leb wohl, Herr! Der Ruh 'i Kulyan hat gezeigt, daß du sein Liebling bist, und auch ich versichere dir, daß ich deine Freundin bin!“
    Seit jener Zeit war eine Reihe von Jahren vergangen. Ich war nicht wieder in jene Gegend gekommen und hatte ein Wiedersehen zwar gewünscht, es aber nicht für möglich gehalten. Und nun stand sie da vor mir in all ihrer Pracht und Herrlichkeit, die liebe, die holde, die süße Petersilie, zwar älter aussehend als damals, sonst aber genau noch so wie zu jener Zeit, in welcher ich sie vor mir sah, den leeren Krugscherben in der Hand, den sie ausgeleckt hatte! Das Gewand, welches sie jetzt trug, war zwar ausreichender als ihr damaliges, aber sehr viel reinlicher und besser nicht.
    Kaum war ihr Auge auf mich gefallen, so kam sie mit langen Riesenschritten auf mich zu, ergriff meine beiden Hände, zog sie an ihr Herz und rief in jubelndem Ton: „Du bist es wirklich, Herr; ich sehe es! Welch eine Wonne! Welch eine Seligkeit! Seit du Abschied von uns nahmst, ist kein Tag vergangen, an welchem wir nicht an dich dachten. Wir haben von dir gesprochen allezeit, haben alles, was du tatest, und jedes deiner Worte uns tausendmal wiederholt. Wir haben gehört, daß du wieder in der Dschesireh gewesen bist und auch wieder in unserm Kurdistan, doch aber nicht in der Gegend, wo wir wohnen, die wir dich lieben und verehren. Wir hatten für dieses Leben darauf verzichtet, dich jemals wiederzusehen, und nun hat Gott es doch gefügt, daß unseren Augen die Wonne deines Anblicks wird!

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