21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
ihr als Kundschafterinnen hier seid.“
„Als Kundschafterinnen?“ fragte sie erstaunt. „Du errätst also, weshalb wir uns als Sammlerinnen der Galläpfel hier in dieser Gegend befinden! Ja, du sagst sogar, daß ihr zu jemand wollt! Wen meinst du damit?“
„Marah Durimeh.“
„Mein Gott! Es ist wahr, daß du es weißt!“
„Ich weiß sogar, wo sie sich befindet!“
„Das wissen wir nun auch. O Effendi, was ist es für ein Glück, daß wir grad mit dir darüber reden können. Und wie wird der Raïs sich freuen, wenn er erfährt, daß du dich hier befindest!“
„Welcher Raïs?“
„Doch der von Schohrd, der Vater meiner Ingdscha!“
„Er ist auch in dieser Gegend?“
„Ja. Ich muß dir sagen, weshalb; doch erlaube, daß ich mich setze! Die Freude des Wiedersehens ist mir in die Beine geschlagen; ich kann nicht mehr stehen.“
„Ich fühle, daß deine Freude sehr groß gewesen ist“, nickte Halef, „denn sie ist nicht bloß in deine, sondern auch mit in meine Beine gefahren. Erlaube, daß ich mich an deine Seite setze!“
Als sie nun nebeneinander saßen, fuhr sie fort:
„Ihr wißt, daß Marah Durimeh keine bleibende Stätte hat. Sie ist bald hier und bald dort und erscheint immer da, wo man ihrer Hilfe bedarf. Man sagt, daß sie ein Liebling des Ruh 'i Kulyan und seine besondere Botin sei.“
Madana wußte nämlich nicht, daß Mara Durimeh selbst der ‚Geist der Höhle‘ war. Sie sprach weiter:
„Da man nie weiß, wann sie kommt, wann sie geht und wo sie sich zu einer gewissen Zeit befindet, so ist es uns schwer, ja fast unmöglich, für ihr Wohl und ihre Sicherheit bedacht zu sein. Sie kann sogar einmal an einem einsamen Orte hilflos sterben, ohne daß es dann ein Mensch erfährt. Überall, wo man sie kennt, da liebt und verehrt man sie auch; sie kann da ohne Sorge, wie im Auge Gottes, wandeln. Aber wo man sie noch nicht kennt, kann ihr sehr leicht ein Unglück widerfahren. Darum baten wir sie, es uns stets vorher mitzuteilen, wenn sie die Absicht habe, einen Weg zu gehen, über dessen Sicherheit sie nicht beruhigt sei. Sie hat das in den letzten Jahren stets getan, doch ohne daß es einmal nötig wurde, um sie beängstigt zu sein. Im späten Herbst des vergangenen Jahres war sie zum letztenmal bei uns in Schohrd. Als sie uns verließ, sagte sie, daß wir uns nicht um sie zu sorgen brauchten, da sie nur zu Bekannten gehe und schon nach einigen Tagen wiederkomme. Aber die Tage vergingen, ohne daß sie zurückkehrte; es vergingen Wochen und sogar Monate, ohne daß wir sie wiedersahen. Da wurde es uns angst um sie. Du weißt, Effendi, was diese Frau uns allen ist, und wirst dich also nicht wundern, wenn ich dir sage, daß alle Ortschaften sich erhoben, um nach ihr zu suchen. Wir haben das ganze Land bis zu den Dschudibergen hinauf durchsucht und während des ganzen Winters überall nach ihr geforscht, ohne aber eine Spur von ihr zu finden. Sie war vollständig verschwunden und wir beweinten sie als eine unterwegs an unbekannter Stelle hilflos Verstorbene. Da kam ein Handelsmann aus Khormadu hinauf zu uns, welcher von einer alten Frau erzählte, die in der Gegend von Suleimania in einem Kulluk wohne und große Wunder tue. Er hatte sie nicht gesehen, aber viel von ihr gehört, und was er uns über sie sagte, ließ uns vermuten, daß diese Frau unsere Marah Durimeh sei. Wir schickten natürlich sofort Boten nach Suleimania, von denen wir nach ihrer Rückkehr erfuhren, daß die Frau gefangengehalten und von Dawuhdijeh-Kurden streng bewacht werde, aber höchst wahrscheinlich unsere Freundin sei. Wer zu ihr wolle, müsse den Scheik der Dawuhdijehs um Erlaubnis bitten, der dafür ein Geschenk je nach dem Vermögen des Betreffenden verlange. Unsere Boten hatten nicht zu ihm gehen können, sondern sich sehr vor ihm und seinen Leuten hüten müssen, weil zwischen uns und diesem Kurdenstamm Feindschaft liegt.“
Als sie jetzt eine Pause machte, erkundigte ich mich:
„Habt ihr erfahren, weshalb diese Frau in jenem Kulluk festgehalten wird?“
„Nein. Es scheint das ein Geheimnis zu sein, welches nur wenige Personen kennen.“
„Ich vermute, daß ihr sofort entschlossen wart, Hilfe zu leisten.“
„Ja, das waren wir alle. Die Gebieter unserer Gegenden traten zu einer Beratung zusammen. Ein Kriegszug war ausgeschlossen, weil es sich um den in Suleimania regierenden Beamten des Padischah handelte. Es wurde beschlossen, zur List zu greifen. Man sprach von dir, wie du Amad el Ghandur aus dem
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